Regional (2004)

Universität Paderborn

Für die Videoüberwachung von Hörsälen und Rechnerräumen erhält die Universität Paderborn den Regionalpreis der BigBrotherAwards 2004. Dabei hat sich der Rektor der Uni, Prof. Dr. rer. nat. Nikolaus Risch, für Dome-Kameras entschieden, so dass die Studierenden nicht einmal sehen können, ob sie gerade gefilmt werden oder nicht. Damit wird das Gefühl, ständig beobachtet zu werden, gruselig perfektioniert.
Laudator.in:
padeluun am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
padeluun, Digitalcourage

Den Regionalpreis der BigBrotherAwards erhält der Rektor der Universität Paderborn, Prof. Dr. rer. nat. Nikolaus Risch, weil Hörsäle und Rechnerräume mit Videokameras überwacht werden.

Dr. Risch manifestiert mit seinen Video-Kameras den Irrglauben unserer Zeit, dass "Überwachung" mit "Sicherheit" gleichzusetzen ist. Die Kameras seien dazu da, den Diebstahl von Rechnern und Beamern zu verhindern, lautet die offizielle Begründung. Damit ist Herr Dr. Risch, ein Vertreter unserer deutschen Bildungselite, auf die Propaganda der - jetzt folgt ein schrecklich falsches Wort - "Sicherheits-Industrie" hereingefallen.

Herr Dr. Risch: Videokameras verhindern keine Diebstähle. Dafür gibt es Schlösser, Seile, Metallbügel. Videokameras sind teuer und passiv. Sie zeichnen nur auf und diese Aufzeichnungen können evtl. nach getaner Tat als Beweismaterial verwendet werden. Aber Videokameras verletzen die Privatsphäre Ihrer Studierenden, der jungen Menschen, für deren freie geistige Entwicklung Sie verantwortlich sind. Videokameras verunsichern und schüchtern diejenigen ein, die sich nicht mehr unbeobachtet fühlen können. Welcher Student möchte sich schon in der Nase popelnd bei einem Privatsender in "Die dümmsten Studierenden der Welt" wieder finden?

Und es sind nicht nur einfach Kameras, die auf die Hörsääle gerichtet sind. Nein, Herr Dr. Risch hat sich für Dome-Kameras entschieden, bei denen die Anwesenden im Hörsaal noch nicht einmal sehen können, wohin diese Kameras gerade gucken. Das lässt nur einen Schluß zu: Es geht auch hier um die Omnipräsenz des BigBrother-Auges, um Abschreckung und das Gefühl "Du bist nirgendwo mehr unbeobachtet".

Jedes Jahr erhält die BigBrotherAwards-Jury Dutzende von Meldungen, in denen sich Menschen über die bald omnipräsente Videoüberwachung beschweren. Es gibt abstruse, sehr abstruse, total abstruse und überaus mega-abstruse Beispiele für Videoüberwachung.

Einige Beispiele, die uns in diesem Jahr gemeldet worden sind:

In Hamburg möchte der Senat Videoüberwachung gerne flächendeckend einführen. Anscheinend ist die regierende Mehrheit auch ohne Ronald Schill blöd genug.

Ein Gießener McDonald's-Restaurant hat nun auch Videoüberwachung, damit man gleich weiß, dass das hier ein besonders gefährdeter Ort ist. Wenn also das Gangsterpärchen "Honey Bunny und Pumpkin" aus dem Film "Pulp Fiction" hier einen bewaffneten Raubüberfall veranstalten möchte, sollten sie zur eigenen Sicherheit lieber eine Maske tragen.

Wir kommen gar nicht mehr hinterher, zu zählen, wie viele Verkehrsunternehmen nun mittlerweile ihre Busse und Bahnen mit Videoüberwachung ausstatten. Wer ohne gefilmt zu werden reisen möchte, kann öffentlichen Verkehr vergessen: Er wird der flächendeckenden Überwachung an Bahnhöfen, in Bussen und Bahnen nicht entgehen. Schon bei den BigBrotherAwards im Jahr 2000 haben wir Hartmut Mehdorn, damals noch als "Behördenchef" der Deutschen Bahn, mit dem BigBrotherAward für sein 3S-Modell ("Sicherheit, Service; Sauberkeit) ausgezeichnet. Abgebaut wurde bisher keine einzige Kamera.

Die Stadtwerke Nürnberg wollen ihr Fahrpersonal für die Straßenbahn abschaffen, damit - so interpretiere ich das mal - mehr Arbeitskräfte für 1-Eurojobs zur Verfügung stehen. Die Bahnen sollen automatisch fahren. Dafür werden die Bahnsteige natürlich vollständig videoüberwacht. Was da teilweise als technische Notwendigkeit, teilweise als "Vandalenschutz" verkauft wird, ist bei näherem Hinsehen nichts anderes, als Geldtransfer an die Elektroindustrie. Die Wartungsverträge für Videoüberwachungsanlagen sind reinste Goldeselchen für die Anbieter.

Wenn man nicht mehr unüberwacht Bahn fahren kann, bleibt nur noch das Auto? Ach was. Das bereits im Jahr 2002 mit einem BigBrotherAward bedachte Mautsystem ist - von der Technik her - eine Weiterentwicklung von Videoüberwachungssystemen. Flächendeckend an allen möglichen Straßen und Kreuzungen sollen die Teile aufgestellt werden, damit alle Autos und deren Kennzeichen erfasst und ausgewertet werden können. Vollautomatisch können dann Knöllchen und Punkte verteilt werden: Wer also um 12 Uhr mittags in der Kasseler Innenstadt losgefahren ist und bereits 20 Minuten später in der knapp 50 km entfernten Göttinger Innenstadt angekommen ist, kann sich schließlich gar nicht an die Geschwindigkeitsbeschränkungen gehalten haben.

Lachen Sie nicht, über sowas wurde bereits nicht nur laut nachgedacht, sondern es wurden auch - zum Teil illegale - Pilotprojekte durchgeführt.

Kaum ein Dorf, wo nicht der Stadtrat oder Bürgermeister auf die Idee kommen, die Altglascontainer mittels Videokameras zu überwachen. Wenn man die Internetausgaben von regionalen Zeitungen durchguckt, wo man häufig auch die Dokumentationen von Ratssitzungen finden kann, kann man annehmen, dass man in einem Irrenhaus lebt, in dem die Patienten sich selbst verwalten. Eine blödsinnige Videoüberwachungsidee nach der anderen wird entwickelt und bejubelt.

Freiheit und Menschenrechte scheinen nichts zu gelten. Nur im Käfig sind wir wirklich frei, scheint die Parole zu sein: Jedem Insassen seinen eigenen Sicherheitstroll!

Das abstrus Schönste, was uns gemeldet wurde, stammt aus Montabaur. Ich zitiere aus der eingegangenen Meldung:

"Als zuständiger Dienstherr lässt der Bürgermeister von Montabaur Videoaufnahmen, die anlässlich von hilfspolizeilichen Geschwindigkeitsüberwachungen entstanden sind und die keine Geschwindigkeitsüberschreitung dokumentieren, im Nachhinein dahingehend analysieren, ob evtl. aus Gestik und Mimik des Fahrers oder der Fahrerin eine Beleidigung der mit der Verkehrsüberwachung betrauten, versteckt operierenden Politesse ableitbar wäre und erstattet ggf. Anzeige."

In dieser Reihe von dummen Gedankenlosigkeiten steht auch der Rektor der Universität Paderborn. Eine Universität ist - anders als ein Altglascontainer - ein Ort der Bildung, des Geistes und der Aufklärung. Um mit Immanuel Kant zu sprechen: Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.

Die Uni Paderborn hat diesen Preis besonders verdient, denn Dr. Risch betont in seinem Grußwort die "Leitidee der Universität der Informationsgesellschaft". Demnach möchte die Uni Paderborn "die naturwissenschaftlich-technische Entwicklung der Informationsgesellschaft vorantreiben, sie kritisch begleiten, gleichzeitig den Blick für die beständigen Werte unserer Kultur öffnen, aber auch die sich in der Informations- oder Wissensgesellschaft bietenden Chancen nutzen."

Diesem Anspruch wird die Universität anscheinend nicht gerecht, wenn sie sich nicht mit den Auswirkungen des hemmungslosen Technikeinsatzes beschäftigt. Weil Sie, Herr Prof. Dr. Risch, Ihrer Vorbildfunktion nicht nachgekommen sind, sondern im Gegenteil, genauso bedenkenlos wie jeder kleine Bürgermeister, Ladenbesitzer, Stadtrat oder Parteipopulist Überwachungsinstrumente zulassen, bekommen Sie in diesem Jahr den BigBrotherAward.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Prof. Dr. Nikolaus Risch.

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padeluun am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
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Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

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BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.