10.12.2020 – Update zum BBA 2002

Demütigende Bewerbungsverfahren bei Bayer

Die Bayer AG begann 2002 von ihren Bewerber.innen Urinproben zu verlangen, um Drogentests durchführen zu können. Einige Bayer-Aktionäre sahen das ähnlich problematisch wie wir und übertrugen uns einige Aktien, wodurch wir die Laudatio vor 5000 Personen bei der Aktionärsversammlung wiederholen durften.

Der BigBrotherAward in der Kategorie „Arbeitswelt“ ging 2002 an die Bayer AG, Leverkusen. Bewerberinnen und Bewerber, die im Unternehmen eine Ausbildung machen wollten, mussten zuvor eine Urin-Probe abgeben. Formal haben sie die Wahl und konnten den Drogentest auch ablehnen – faktisch konnte hier von „freiwilliger Zustimmung“ keine Rede sein. Denn allen war klar: wer den Drogentest verweigerte, hatte schlechte Karten bei der Vergabe der Ausbildungsplätze.

Unsere Begründung: „Urintests sind entwürdigend. In Gegenwart eines möglichen zukünftigen Kollegen eine Pinkelprobe abgeben zu müssen, ist eine Demütigung. Mit einem solchen Drogentest muß man auch sein Privatleben und seine Freizeitgewohnheiten dem Konzern gegenüber offenlegen – und das immer häufiger schon im Vorfeld, noch bevor man bei einem Unternehmen in Lohn und Brot steht“ (Laudatio).

Neben der Demütigung prangerten wir außerdem an, dass Drogentests fehlerhaft sein können, dass „harte“ Drogen häufig schon nach wenigen Tagen nicht mehr nachweisbar sind, während „weiche“ Drogen wie Cannabis länger aufgefunden werden können, und dass die legale Droge Alkohol, auf die jeder vierte bis jeder Dritte Unfall zurückgeht, gar nicht überprüft wird.

Die Bayer AG wurde exemplarisch nominiert – Drogentests wurden und werden in immer mehr Unternehmen in Deutschland zur gängigen Praxis bei der Bewerberauswahl. „Gewerkschaftsvertreter.innen befürchten, dass auch genetische Tests für Bewerber bald hoffähig werden, wenn Urintests stillschweigend akzeptiert werden“ (Laudatio). Was ist der Zweck solcher Tests?  Geben sie Arbeitgerbern Informationen über die Angestellten, oder nicht vielmehr Angestellten die Information: „Du wirst keine Geheimnisse vor uns haben“? Ein Grund mehr, mit unserem BigBrotherAward auf die gängige höchst problematische Praxis hinzuweisen.

Erfolg:

Nach der Preisverleihung reagierte Bayer zunächst so wie viele andere Preisträger.innen auch: Mit Schweigen. Wenig später folgte dann jedoch eine Einladung kritischer Aktionäre, die uns ein paar Bayer-Aktien übertrugen. Durch die Aktien erhielten wir das Rederecht auf der Bayer-Aktionärsversammlung im April 2003, wo die Laudatio vor 5.000 Zuschauern ein weiteres Mal vorgetragen wurde. Eine einmalige Gelegenheit, die wir selbstverständlich gerne nutzten.

Misstrauen zeigte Bayer auch gegenüber seinen Aktionär.innen: Es gab ausführliche Eingangskontrollen, schwarzgekleidete Security-Männer stellten sich eigens zum Spalier auf, bevor Rena Tangens zum Rednerpult gerufen wurde. Eine Journalistin, die Rena fotografierte, wurde von Sicherheitskräften abgeführt und ihre Aufnahmen vernichtet. Ein Aktionär stellte  in seinem Redebeitrag fest, dass Rede- und Meinungsfreiheit bei Bayer wenig gelten würden und forderte die Rückgabe der Flugblätter, die man ihm am Eingang abgenommen hatte. Die Antwort vom Bayer-Vorstand hatte Orwellsche Qualitäten: Es seien „keine Flugblätter konfisziert worden“.

Nach der Veranstaltung wussten wir, dass wir glücklich sein können, im deutschen Rechtsstaat zu leben und hier zu arbeiten. Wir konnten uns gut vorstellen, wie es Bayer-Kritiker.innen in Ländern geht, die weniger zivilisiert sind.

Update:

2018 übernahm der Bayer-Konzern den Pestizid- und Saatguthersteller Monsanto. Monsanto ist verantwortlich für das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Im Mai 2019 wurde bekannt, dass Monsanto geheime Listen mit persönlichen Daten von Wissenschaftler.innen, Journalist.innen und Politiker.innen angelegt hat, die in die Kategorien „Gegner“ und „Unterstützer“ von Glyphosat eingeteilt sind. Diese Listen existieren für sieben Länder: Deutschland, Italien, Spanien, Polen, die Niederlande und Großbritannien. In Deutschland sollen 300 Menschen auf dieser Liste stehen. Gesammelt wurden Tweets und Online-Beiträge, politische Äußerungen zu TTIP oder Atomkraft oder die Namen von Personen, die Tweets mit entsprechendem Inhalt weiter gesendet haben. Das Deutsche Umweltinstitut in München forderte Bayer auf, diese persönlichen Dossiers zu löschen. Bayer weigerte sich: Man habe schließlich nur öffentlich zugängliche Informationen zusammengestellt und Bayer habe ein berechtigtes Interesse daran, „die für unser Unternehmen relevanten Meinungen von Interessengruppen und der breiten Öffentlichkeit zu kennen und besser zu verstehen.“

Es liegt noch ein langer Weg vor uns, große Unternehmen zu einem legalen und darüber hinaus moralischen Umgang mit persönlichen Daten zu verpflichten.

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