Technik (2007)

PTV

Der BigBrotherAward 2007 in der Kategorie „Technik“ geht an PTV Planung Transport Verkehr AG für ihr System zur individuellen Berechnung der Kfz-Versicherung mittels eines so genannten „Pay as you drive“-Systems, also einem Gerät, das Fahrtroute und Fahrverhalten aufzeichnet und an die Versicherung meldet.
Laudator.in:
Frank Rosengart am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Frank Rosengart, Chaos Computer Club (CCC)
Ein Oldtimer auf einer Straße nahe einem Gewässer (Foto in Sepia-Färbung).

Der BigBrotherAward 2007 in der Kategorie „Technik“ geht an PTV Planung Transport Verkehr AG, vertreten durch Dr.-Ing. Hans Hubschneider, für ihr System zur individuellen Berechnung der Kfz-Versicherung mit ihrem so genannten „Pay-as-you-drive“-System, also einem Gerät, welches die Fahrtroute und das Fahrverhalten aufzeichnet und an die Versicherung übermittelt.

Die Idee klingt verlockend: Sie fahren vernünftig und umsichtig, im Gegenzug sinkt die Versicherungsprämie. Doch wie stellt die Versicherung fest, ob jemand umsichtig fährt, sich an die Geschwindigkeitsgrenzen hält und wenig Autobahnen benutzt? Die Technik dazu heißt „Pay-as-you-drive“, frei übersetzt: „Zahle, wie du fährst“. Vor allem Fahranfänger sollen zu gemäßigter Fahrweise motiviert werden – über den Geldbeutel.

Ähnlich wie die Geräte, die zur Erfassung der LKW-Maut in die meisten deutschen Lastwagen eingebaut sind, funktioniert Pay-as-you-drive mittels Satellitennavigation und Datenübertragung per Mobilfunk. Zusätzlich können noch weitere Datenquellen im Fahrzeug angezapft werden: Beschleunigungssensoren, ob der Blinker betätigt wurde, die elektronische Messung des Reifendrucks oder sogar ein Alkoholtester können an das Gerät angeschlossen werden. Alle Messwerte werden dann regelmäßig an die Versicherungszentrale übermittelt. Ebenso können   Geschwindigkeitsbeschränkungen auf elektronischen Straßenkarten im Gerät gespeichert werden. Pay-as-you-drive-Systeme wären sogar in der Lage, elektronische Strafzettel automatisch auszustellen. Den Überwachungsfantasien sind keine Grenzen gesetzt, lassen sich doch in modernen Autos nahezu alle technischen Parameter über den  Bordcomputer abfragen.

Das Hauptproblem liegt dabei in der zentralen Datenverarbeitung: Um stets mit aktuellen Kartenmaterial zu arbeiten und um die Komplexit ät der Pay-as-you-drive-Black-Box überschaubar zu halten, sollen die Fahrdaten per Mobilfunk (GSM) an die Versicherungszentrale übermittelt werden. Die Fahrdaten werden dann nicht in der Black-Box dezentral und sicher vor neugierigen Blicken gespeichert, sondern die Box übermittelt ihr Wissen über den Fahrer regelmäßig an die Versicherungszentrale. Dort werden diese Daten mit  aktuellem Kartenmaterial verglichen und es wird kontrolliert, ob die in der Versicherungspolice vorgebenen „Selbstbeschränkungen“ und gesetzlich angeordnete Verbote eingehalten werden. Und gleichzeitig können sich Behörden und andere Bedürftige bei der Versicherungszentrale oder einem beaufragtem Dienstleister jederzeit an diesen Daten bedienen.

Seit der Einführung der LKW-Maut wissen wir, welche Begehrlichkeiten seitens des Staates existieren, möglichst umfangreichen Zugriff auf die Daten des Kontrollsystems und der Erhebungsgeräte in den Fahrzeugen zu erhalten. Es ist also eine Illusion, dass die durch die Black-Box gewonnenen Daten in der Hand des Fahrzeughalters und der Versicherung bleiben. Das Autobahnmautgesetz, welches extra um Regelungen zum Schutz der Maut-Daten erweitert wurde, steht nach dem Regierungswechsel unter Beschuss. Bisher galt eine strikte Zweckbindung für die Daten: Die Verwendung beispielsweise zu Fahndungszwecken war verboten. Damit kann es bald vorbei sein, fordern Ermittler und Sicherheitspolitiker immer wieder.

In Großbritannien werden Pay-as-you-drive-Systeme bereits erprobt. In Deutschland haben einige Versicherungsunternehmen bereits deutliches Interesse bekundet, diese Technologie auch einzusetzen. Die Firma PTV bietet mit ihrem Software-Baukasten „Roadrunner“ die Basis für eine individuelle Fahrdaten-Erfassung an, welche für streckenbasierte Kfz-Versicherungsmodelle benutzt werden kann.

Wir möchten mit dem BigBrotherAward nicht warten, bis eine Versicherung einen Tarif mit Vollüberwachung auf den Markt bringt. Obwohl immer betont werden wird, dass Pay-as-you-drive-Tarife selbstverständlich freiwillig sind, werden die Kunden gewissermaßen doch gezwungen, sich eine Black-Box ins Auto einzubauen: mit Geld.

Vor allem junge Fahranfänger werden wegen des Sparanreizes nicht lange nachdenken – und damit frühzeitig an eine umfassende Bespitzelung ihres Fahrverhaltens und ihres Tagesablaufes gewöhnt. Der Erfolg der Rabatt- und Bonuskarten – wie zum Beispiel Payback – zeigt, dass viele Bürger bereits für wenig Gegenleistung bereit sind, ihre Privatsphäre zu aufzugeben.

Pay-as-you-drive-Systeme sind keine ‚neutrale’ Technologie. Ihr einziger Zweck ist das Überwachen und Ausspionieren des Fahrverhaltens. Der Große Bruder im Auto.

Herzlichen Glückwunsch zum BigBrotherAward, Dr.-Ing. Hans Hubschneider von der PTV Planung Transport Verkehr AG in Karlsruhe.

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Frank Rosengart am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Frank Rosengart, Chaos Computer Club (CCC)

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

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Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.