Arbeitswelt (2012)

Bofrost

Der BigBrotherAward 2012 in der Kategorie Arbeitswelt geht an die Firma Bofrost für die rechtswidrige Ausforschung von Daten auf Betriebsratscomputern, z. B. mit einer Fernsteuerungssoftware. Bofrost hat heimlich Dateien des Betriebsrats ausgewertet und ein dabei gefundenes Schreiben verwendet, um einem Betriebsratsmitglied zu kündigen. Das Arbeitsgericht hat die Unzulässigkeit dieses Vorgehens in mehreren Prozessen bestätigt. Dies hat Bofrost nicht davon abgehalten, in die Berufungsinstanz zu gehen.
Laudator.in:
Prof. Dr. Peter Wedde am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Prof. Dr. Peter Wedde, Frankfurt University of Applied Science

Der BigBrotherAward 2012 in der Kategorie „Arbeitswelt“ geht an die Firma Bofrost Dienstleistungs GmbH & Co. KG.

Das Unternehmen Bofrost erhält den Preis, weil es ungeniert auf eine gesetzlich geschützte Datei von Betriebsräten zugegriffen hat. Bofrost scheint bezüglich der festgestellten Rechtsverstöße frei von Schuldbewusstsein zu sein und trieb verlorene arbeitsgerichtliche Verfahren in Berufungsinstanzen weiter.

Auf seiner Internet-Seite erklärt Bofrost, dass das Unternehmen als Arbeitgeber „pragmatisch, partnerschaftlich, sicher und unternehmerisch“ handelt. Diesen partnerschaftlichen Pragmatismus bekam ein Betriebsrat des Unternehmens zu spüren. Ein Betriebsratsmitglied wurde beschuldigt, während der Arbeitszeit unzulässigerweise eine Stellungnahme verfasst zu haben. Diese sollte gekündigten Beschäftigten helfen und wurde per E-Mail von einem Betriebsratsrechner an deren Rechtssekretärin versandt.

Im Rahmen der Kündigungsschutzverfahren der gekündigten Mitarbeiter erfuhr Bofrost von dieser E-Mail. Das Unternehmen wollte daraufhin vom Betriebsrat wissen, wer die Stellungnahme verfasst und versendet hatte. Als der Betriebsrat sich weigerte, das zu beantworten, wertete Bofrost die entsprechenden Daten des Betriebsrats heimlich ohne dessen tatsächliche Kenntnis aus. Das sei durch eine Rahmenbetriebsvereinbarung gedeckt, sagte das Unternehmen. Weiterhin habe man den Betriebsrat rechtzeitig vom geplanten Zugriff unterrichtet und um Erteilung seiner Zustimmung zur Ausforschung gebeten. So einfach kann Datenspionage in einem demokratischen Rechtsstaat sein. Der Betriebsrat sah das naturgemäß anders und hat der verlangten Einsichtnahme folgerichtig widersprochen.

Die daraufhin heimlich ohne tatsächliche Kenntnis des Betriebsrats gewonnenen Erkenntnisse hatten Folgen: Das Betriebsratsmitglied erhielt eine außerordentliche Kündigung. Diese begründete der Arbeitgeber damit, dass das Schreiben einer solchen Stellungnahme nicht zu den Aufgaben eines Betriebsrats gehört. Der Mitarbeiter habe deshalb Arbeitszeitbetrug begangen.

Das Vorgehen von Bofrost hat zu Arbeitsgerichtsverfahren geführt, die das Unternehmen teilweise verloren hat. Das zuständige Arbeitsgericht Wesel hat beispielsweise die Kündigung für unzulässig erklärt. In einem weiteren Verfahren hat dieses Arbeitsgericht Bofrost grundsätzlich verboten, Einsicht in die elektronischen Dateien des Betriebsrates zu nehmen.

Die Entscheidungen des Arbeitsgerichts waren juristische Ohrfeigen für Bofrost. Sie haben den Tiefkühlhersteller allerdings nicht davon abgehalten, bezüglich der versuchten fristlosen Kündigung das Landesarbeitsgericht anzurufen (Formaljuristisch bedeutet "fristlose Kündigung", daß nach § 103 das "Verfahren auf Erteilung der Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsrats" eröffnet wird. Das Arbeitsgericht Wedel gab keine Zustimmung; vor dem Landesarbeitsgericht wurde ein Vergleich geschlossen.) Das Landesarbeitsgericht hat die Ohrfeige am 7. März wiederholt und die Einsichtnahme in Dateien des Betriebsrats jetzt auch in letzter Instanz für unzulässig erklärt.

Dass das Unternehmen verständlichen und gerichtlich bestätigten juristischen Argumenten nicht zugänglich ist, wird an einem weiteren Fall deutlich: Betriebsräte eines anderen Bofrost–Betriebs stellten fest, dass sich auf ihren Rechnern plötzlich eine Fernbedienungs-Software befand. Diese war von Bofrost heimlich ohne tatsächliche Kenntnis des Betriebsratsmitglied installiert worden und ermöglichte den unbemerkten Zugriff auf Betriebsratsdaten. Mit der gesetzlich vorgeschriebenen vorherigen Informationspflicht und dem notwendigen Mitbestimmungsverfahren dafür hat sich das Unternehmen gar nicht erst aufgehalten. Die Installation der Software war damit rechtswidrig. Immerhin: Nachdem der Sachverhalt bekannt geworden war, wurde das Programm deinstalliert.

Das Verhalten von Bofrost weist darauf hin, dass die Rechte von Betriebsräten für das Unternehmen kein erwünschtes Qualitätsmerkmal sind. Man scheint hier die zahlreichen Datenschutzskandale der letzten Jahre – genannt seien hier exemplarisch Lidl oder Daimler – und die hierdurch ausgelöste Debatte um den Schutz der Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmern vollständig verschlafen zu haben. Befanden sich die Verantwortlichen während dieser Zeit vielleicht in einer Kältekammer?

Bofrost, Lidl und die anderen sind kein Einzelfall. Der BBA-Jury lagen in diesem Jahr noch mehrere ähnlich gelagerte Fälle vor. In der Praxis berichten Betriebsräte immer wieder von unzulässigen Kontrollen und Ausforschungen, bei denen von Arbeitgebern auf vorhandene Daten zurückgegriffen wird. Dass solche Datenschutzskandale immer mal wieder Schlagzeilen machen, scheinen Arbeitgeber in keiner Weise zu fürchten.

Aber es könnte noch schlimmer kommen, wenn die Regierungskoalition in Berlin ihren Entwurf eines „Beschäftigtendatenschutzgesetzes“ verabschiedet. Dieses Gesetz wird Beschäftigte nicht etwa besser als bisher vor Festplatten-Schnüffeleien ihrer Arbeitgeber schützen. Stattdessen eröffnet es Unternehmern Erhebungs- und Auswertungsmöglichkeiten, die weit über das heute gesetzlich Zulässige hinausgehen. Durch das neue Gesetz würden viele der Datenschutzverstöße aus der Vergangenheit nachträglich legitimiert. Insbesondere die Ausforschungsmöglichkeiten beim Verdacht auf Pflichtverstöße und Straftaten sollen sogar ausgebaut werden. Der neue Entwurf schützt damit nicht die Beschäftigten, wie der Name suggeriert, sondern nur die Interessen der Unternehmen. Das Beschäftigtendatenschutzgesetz müsste deshalb eigentlich „Beschäftigtenausspionierungserlaubnisgesetz“ heißen.

Das Betriebsverfassungsgesetz hingegen bleibt von dieser Neuerung unberüht. Bofrost darf damit auch in Zukunft die Daten von Betriebsräten nicht heimlich ausforschen. Ein solches Vorgehen ist und bleibt verboten.

Wir können Bofrost nur raten, die eigenen Rechtskenntnisse schnell aufzufrischen und das Gelernte unverzüglich umzusetzen – bevor von einem Arbeitsgericht die nächste kalte Dusche kommt. Wer so handelt, verfehlt das im eigenen Internet-Auftritt propagierte Ziel, einer der beliebtesten Arbeitgeber in Europa zu werden, mit Sicherheit.

Dazu unseren herzlichen Glückwunsch, Bofrost.

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Prof. Dr. Peter Wedde am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Prof. Dr. Peter Wedde, Frankfurt University of Applied Science

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

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Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.