Politik (2004)

Brigitte Zypries

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erhält den BigBrotherAward in der Kategorie "Politik". Anstatt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 zum Anlaß, auf den großen Lauschangriff als Ermittlungsmethode zu verzichten, hält sie weiter an ihm fest. Tatsächlich besteht durch die bloße Existenz eines solchen Instruments die Gefahr der Einschüchterung von Menschen, wie übrigens auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil feststellt.
Laudator:
Portraitaufnahme von Fredrik Roggan.
Dr. Fredrik Roggan, Humanistische Union (HU)

Der Big Brother Award 2004 in der Kategorie "Politik" geht an die Bundesministerin der JustizFrau Brigitte Zypries. Sie wird ausgezeichnet für ihr Festhalten am Großen Lauschangriff als Instrument der Strafverfolgung.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 3. März dieses Jahres eine wegweisende Entscheidung gefällt, nach der das Abhören von Menschen in Privatwohnungen nur erlaubt ist, wenn sehr strenge Regeln eingehalten werden. Dabei hat das Gericht die Hürden für eine verfassungsgemäße Regelung sehr hoch gelegt. Polizeipraktiker sind sich dabei ungewöhnlich einig mit Rechtswissenschaftlern und Datenschützern. Sie alle gehen davon aus, dass große Lauschangriffe in Zukunft extrem kompliziert und damit kaum noch durchführbar sind, zumal die Ergebnisse vielleicht noch nicht mal im Verfahren verwendet werden dürfen.

Man hätte diesen Richterspruch zum Anlass nehmen können, auf den Großen Lauschangriff ganz zu verzichten. Nach Ansicht der Jury wäre das eine sinnvolle Entscheidung gewesen. Stattdessen sollte nach einem Referenten-Entwurf aus den Hause Zypries der große Lauschangriff sogar auf Ärzte, Journalisten und Pastoren ausgedehnt werden. Dieser musste auf starken öffentlichen Druck hin zurückgezo-gen werden.

Eine ganz andere Haltung bewies dagegen ihre Amtsvorgängerin, Sabine Leutheus-ser-Schnarrenberger. Sie trat 1996 als Justizministerin zurück, weil sie den großen Lauschangriff nicht mittragen wollte. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom März diesen Jahres geht auf ihre Verfasssungsbeschwerde zurück.

Mehr rechtsstaatliche Sensibilität fordert übrigens nicht nur die BigBrotherAward-Jury von Frau Zypries, sondern auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss, der 1998 bei der Abstimmung im Bundestag selbst noch FÜR den Lauschangriff vo-tiert hatte. Er sagt heute: "Die Justizministerin muss sich endlich über eines klar werden: Sie ist nicht mehr Otto Schilys weisungsgebundene beamtete Staatssekre-tärin, sondern als Ministerin die Hüterin der Verfassung und der Bürgerrechte."

Zu den Fakten: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist der große Lauschangriff, also das Abhören von Wohnungen z.B. durch Wanzen, Richt- oder Lasermikrofone, laut Gericht zwar verfassungsrechtlich zulässig, aber nur in Aus-nahmefällen und wenn die sehr restriktiven Anforderungen an die gesetzliche Grundlage und die Durchführung eingehalten werden. Aber auch bei der verfas-sungs*gemäßen* Durchführung eines Großen Lauschangriff ist die Verletzung des eigentlich unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht ausge-schlossen! Einziger "Trost" für die Betroffenen ist, dass solche Daten sofort zu lö-schen und nicht weiter zu verwenden sind. Aber wozu ist diese Verletzung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG) überhaupt nötig?

Dass ohne großen Lauschangriff die Bekämpfung der organisierten Kriminalität zum Scheitern verurteilt wäre, wie immer wieder behauptet wird, erscheint lächerlich: Im Jahr 2001 z.B. hat es ganze 17 Einsätze dieser Art gegeben (genaue Zahlen sind z.T. erst mit jahrelanger Verspätung zu bekommen). Und noch nicht einmal in der Hälfte dieser Fälle sind dabei strafverfahrensrelevante Informationen zutage gefördert worden. Stattdessen stellt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil fest: "Von der Möglichkeit zur akustischen Wohnraumüberwachung können Einschüchterungseffekte ausgehen, denen insbesondere auch der Unverdächtige ausgesetzt ist, weil auch er ... jederzeit und ohne sein Wissen von der Ermittlungsmaßnahme betroffen werden kann" (BVerfGE 109, 279 [354]).

Die Jury hofft, dass sich Frau Zypries das Minderheits-Votum der Richterinnen Hohmann-Dennhardt und Jaeger zu Herzen nimmt. Wir zitieren aus deren Stellung-nahme: "Wenn (...) die Intimsphäre (?) kein Tabu mehr ist, vor dem das Sicher-heitsbedürfnis Halt zu machen hat, stellt sich (...) die Frage, ob das Menschenbild, das eine solche Vorgehensweise erzeugt, noch einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie entspricht". Es sei insofern "nicht mehr den Anfängen, sondern einem bitteren Ende zu wehren" (BVerfGE 109, 279 [391]).

Eine Demokratie lebt von der Furchtlosigkeit ihrer Mitglieder. Nur, wenn wir keine Angst vor dem Staat haben, können wir unsere Grundrechte frei ausüben. Darum gibt es zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wir erwarten von der Politik, dass sie uns diese Freiheit erhält, und sie nicht gefährdet, indem sie den Sicherheitsbehörden immer neue und weiter gehende Befugnisse einräumt.

Stattdessen tut Frau Zypries es ihren Kollegen aus den Bundesländern gleich, die für die Regelungen über Große Lauschangriffe in den Polizeigesetzen verantwortlich zeichnen. Der Unbefangenheit des vertraulich gesprochenen Worts wird mit solcherlei Rechtspolitik weiter die Grundlage ihrer Existenz entzogen.

Dafür: Herzlichen Glückwunsch, Frau Zypries.

Literaturhinweis:
Fredrik Roggan (Hrsg.): Lauschen im Rechtsstaat - Zu den Konsequenzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum großen Lauschangriff
Mit Beiträgen von: Nils Bergemann, Prof. Dr. Erhard Denninger, Dr. Burkhard Hirsch, Prof. Dr. Martin Kutscha, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Fredrik Roggan.

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Portraitaufnahme von Fredrik Roggan.
Dr. Fredrik Roggan, Humanistische Union (HU)

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