Technik (2008)

Yello Strom

Der BigBrotherAward 2008 in der Kategorie „Technik“ geht an die Yello Strom GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer Martin Vesper, für die Vorreiterrolle bei der Einführung der Digitalstrom-Technik für Privatkunden, ohne jegliche Information zum Datenschutz der Kund.innen.
Laudator:
Rena Tangens am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Rena Tangens, Digitalcourage

Der BigBrotherAward 2008 in der Kategorie „Technik“ geht an die Yello Strom GmbH, vertreten durch ihren Geschäftsführer Martin Vesper, für die Vorreiterrolle bei der Einführung der Digitalstrom-Technik für Privatkunden, ohne jegliche Information zum Datenschutz der Kunden. Digitalstrom-Technik ermöglicht eine sekundengenaue Erfassung des Stromverbrauchs einer Wohnung und sogar einzelner Geräte. Sie könnte damit in Zukunft zur detaillierten Überwachung aller Aktivitäten im häuslichen Bereich genutzt werden.

Doch wozu braucht man Digitalstrom? Die Überlegungen sind folgende: Die Kunden sollen künftig ihren Stromverbrauch selbst kontrollieren und damit Strom sparen können. Die Versorgungsunternehmen wollen schneller auf Angebot und Nachfrage auf dem Strommarkt reagieren können, beispielsweise über flexible Tarife und eine Fernsteuerung von Geräten. Beides geht jedoch nur mit ständig aktualisierten Verbrauchszahlen über so genanntes „Smart Metering“. Dafür wiederum wird eine neue Generation von intelligenten Stromzählern benötigt.

Den Weg dahin ebnet das „Gesetz zur Öffnung des Messwesens bei Strom und Gas für Wettbewerb“ (eine Novelle des EnWG), das seit dem 9. September 2008 in Kraft ist. Es schreibt vor, dass ab 2010 monatliche Abrechnungen möglich sein sollen, sowie nach Tageszeit oder nach Verbrauch unterschiedliche Tarife, „soweit dies technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar ist“.

Yello bietet dazu folgende Lösung an: Die Stromkunden erhalten neue Zähler, die die Verbrauchsdaten sekundengenau erfassen und alle 15 Minuten über das Internet zur Zentrale übertragen. Diese Daten können dann online auf der Yello-Homepage eingesehen werden.

Für Versierte ein technisches Detail: Die Informationsübertragung zu den Geräten läuft über die existierende Stromleitung, und zwar im Basisband in der Nähe des Nulldurchgangs des Wechselstroms. Das genaue Funktionsprinzip kennen nur Mitglieder der Digitalstrom-Allianz bei strengster Geheimhaltungsverpflichtung.

Doch was ist nun eigentlich das Problem? Ganz einfach: Eine detailreiche Verbrauchsmessung gibt viele Informationen über den Verbraucher preis: Wann wird aufgestanden, wann aus dem Haus gegangen? Wann wird gekocht, wann Fernsehen geschaut? Sind die Bewohner verreist? Wenn zusätzlich auch noch Gas- und Wasserverbrauch berücksichtigt werden, können noch leichter Mutmaßungen darüber angestellt werden, wie viele Personen sich in der Wohnung befinden. Und vieles mehr.

Neben der Verbrauchsmessung geht es aber auch um die Steuerung des Verbrauchs. Die Digitalstrom-Allianz, der Yello angehört, stellt sich vor, dass zukünftig alle Geräte vom Kühlschrank bis zur Glühbirne einen Hochvoltchip erhalten, über den das Gerät adressiert und gesteuert werden kann. Jeder Chip besitzt eine individuelle Gerätenummer, die dSID (DigitalstromID) - damit würde jedes Gerät identifizierbar. Interessanterweise will die Digitalstrom-Allianz den gleichen Adressraum verwenden, den auch RFID-Chips nutzen. Alte Bekannte sozusagen.

Der dSID-Chip sieht wie eine Lüsterklemme aus und kann bei vorhandenen Geräten in die Leitung gehängt werden, bei neuen „digitalstromtauglichen“ Geräten soll der Chip dann bereits eingebaut sein. Damit ließe sich in Zukunft auch noch feststellen: Welche Geräte stehen im Haus? Welche werden wann und wie lange verwendet?

Doch keine Sorge, die Stromlieferanten haben ja  – wie sie beteuern – gar kein Interesse an solchen Informationen. Nicht sehr beruhigend, denn nach all den öffentlich gewordenen Datenschutzskandalen und angesichts der Vielzahl an neuen Überwachungsgesetzen kann man sich leicht vorstellen, wie rasch sich Interessenten für eine so detaillierte Sammlung von Verbrauchsdaten finden werden: Die Sicherheitsbehörden, Hartz-IV-Kontrollen, aber auch Marketing sind alle denkbar, nach dem Motto: „Ich sehe hier, dass Ihr Kühlschrank schon ziemlich alt ist...“

Der kritische Punkt in alledem ist die Technik des Stromzählers. Verbraucher haben keine Möglichkeit zu überprüfen, ob der Zähler Informationen über ihre Gerätenutzung nach außen weiter gibt oder nicht.

Und damit kommen wir zum BigBrotherAward: Nein, Yello spioniert keine Stromkunden aus. Noch ist kein spektakulärer Datenmissbrauch passiert und kein Datenleck entdeckt. Es gibt auch kein neues Gesetz, das andere Nutzungen der detaillierten Verbrauchsdaten erlaubt, zum Beispiel durch die Sicherheitsbehörden.

Aber: Prävention ist heute alles - im Gesundheitswesen, in der Sicherheitspolitik, bei der Kriminalitätsbekämpfung. Wir fordern: Prävention beim Datenschutz. Dies ist ein präventiver BigBrotherAward - er soll davor warnen, diese Technik vorschnell anzunehmen, bevor nicht sichere und dokumentierte Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre implementiert sind. Dieser BigBrotherAward richtet sich an die Yello Strom GmbH, weil uns die geplante Kennzeichnung der Geräte mit dSID-Chips bedenklich erscheint. Er ist eine Aufforderung an Yello, ein schlüssiges Datenschutzkonzept für die neue Technik zu entwickeln und offenzulegen. Die Aufforderung wendet sich gleichermaßen an Yellos Muttergesellschaft EnBW, an Vattenfall, E.on, RWE und alle anderen Stromversorger, die derzeit ihre eigenen Tests mit verschiedenen intelligenten Zählern machen.

Yello preist seine „Sparzähler online“ im Internet an - es gibt aber keinerlei Hinweis auf Datenschutz. In einer Stellungnahme an die BigBrotherAwards verweist Yello darauf, dass ihr Produkt „Sparzähler online“ ja noch gar nicht am Markt sei und dass Informationen zum Datenschutz „schon aus Wettbewerbsgründen noch nicht für die Öffentlichkeit verfügbar“ seien. Eine Erklärung, die nicht überzeugt.

Mit unserer Sorge in puncto Datenschutz stehen wir übrigens nicht alleine. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 15. Februar 2008 zu dem Gesetzentwurf des EnWG zu bedenken gegeben, dass die beabsichtigte Förderung von innovativer Zähler-Technik auch eine Kehrseite in Form von "steigenden Netzkosten und schmerzhaften Einschnitten in den Daten- und Verbraucherschutz" mit sich bringen könnte. Wörtlich heißt es da: Innovative Zähler bedeuten, dass das Energieversorgungsunternehmen jederzeit und unmittelbaren Einblick in die Verbrauchsdaten und das Verbrauchsverhalten des Kunden erhält. Dies wird gemeinhin als Eingriff in die Privatsphäre gewertet. (...)

Der Bundesrat mahnt, „...sorgfältig darauf zu achten, dass mit dem flächendeckenden Einsatz neuer Zählertechnologien nicht ein Instrument geschaffen wird, das vorrangig den nachvollziehbaren Interessen der Versorgungswirtschaft (...) dient.“ Und fordert: „... es darf keine Pflichtausstattung mit Geräten zur elektronischen Verbrauchsmessung geben. Der Verbraucher sollte sich auch weiterhin für eine Teilnahme am manuellen Ableseverfahren entscheiden können.“

Und in der Tat dürfen inzwischen die Mieter selbst den Messstellenbetreiber wählen. Sie können also selbst entscheiden, ob sie sich diese Technik bereits heute ins Haus holen wollen. Ab 2010 sollen digitale Stromzähler in Deutschland zumindest für Neubauten Pflicht werden. Bis dahin ist noch einiges dafür zu tun, dass diese Technik datenschutzfreundlich wird und nicht zum Überwachungsinstrument mutiert.

Herzlichen Glückwunsch, liebe Yello Strom GmbH.

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Rena Tangens am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
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