Neusprech (2011)

Mindestspeicherdauer

„Was jemand willentlich verbergen will, sei es vor anderen, sei es vor sich selber, auch was er unbewusst in sich trägt: Die Sprache bringt es an den Tag. Die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein – im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen.“ (Victor Klemperer)
Laudator:
Bernd Sieker am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2011.
Martin Haase, neusprech.org

Der BigBrotherAward 2011 in der Sonder-Kategorie „Neusprech“ geht an das Wort Mindestspeicherdauer.

"Was jemand willentlich verbergen will, sei es vor anderen, sei es vor sich selber, auch was er unbewusst in sich trägt: Die Sprache bringt es an den Tag. Die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein – im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen."

Diese Sätze schrieb der Sprachwissenschaftler Victor Klemperer vor 64 Jahren. Sie sind heute so aktuell wie damals.

Das harmlos daherkommende Wort "Mindestspeicherdauer". Ein deutscher Innenminister schlug vor, dieses Wort als Synonym des schönfärbenden Ausdrucks "Vorratsdatenspeicherung" zu verwenden. Weil es so schön sachlich klinge.

Ihm war dabei sicher nicht bewusst, dass sich in eben dieser Sachlichkeit vor allem eines zeigt: Verachtung. Verachtung für die Menschen und für ihre Rechte.

Wer ein solches Wort verwendet, um eine grundlose, immerwährende und vollständige Überwachung und Bespitzelung jeder elektronischen Kontaktaufnahme zu beschreiben, der hat offensichtlich nichts übrig für demokratische Ideale wie Menschenwürde, Redefreiheit und Unschuldsvermutung.

Und er hält eben diese Menschen noch dazu für dumm. Denn er versucht, eine von vielen abgelehnte Praxis mit einer neuen Verpackung zu versehen in der Hoffnung, die Bürger werden das vergammelte Fleisch schon essen, wenn es nur hübsch umwickelt ist.

Das alles zeigt sich an dieser harmlos wirkenden und doch so technokratischen Umschreibung der Hortung von Verbindungsdaten.

Sprache bringt es an den Tag.

Sprache ist ein Machtinstrument. Wenn wir frei über unsere Zukunft entscheiden wollen, wenn wir eine Wahl haben wollen, was wir tun und was wir lassen, müssen wir uns solcher Machtinstrumente und ihrer Wirkungen bewusst sein. Wir müssen uns klar machen, was ein Sprecher tatsächlich beabsichtigt.

Ein BigBrotherAward für Wörter wie "Mindestspeicherdauer" kann dabei helfen. Er kann uns aufmerksam machen, uns sensibilisieren, uns zum Nachdenken anregen. Gegen die Verachtung wird er nicht viel ausrichten. Eines aber kann er bewirken: das wir uns nicht für dumm verkaufen lassen.

Herzlichen Glückwunsch, Ihr Sprachschöpfer, damit beim BigBrotherAward erwähnt zu werden.

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Laudator.in

Bernd Sieker am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2011.
Martin Haase, neusprech.org

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