Büchergutscheine
Der Big Brother Award 2011 in der Kategorie „Verbraucherschutz“ geht an den Verlag für Wissen und Innovation, Herrn Horst Müller (Starnberg), für das Abschöpfen von Adressdaten von Schülern und Eltern als Gegenleistung für Büchergutscheine.
Meine Damen und Herren,
Sie wissen es alle: Schülerdaten sind in Deutschland gesetzlich geschützt. Und dies aus gutem Grund: Die Schule ist kein Tummelplatz für den Kommerz und Eltern sollen ihre Kinder der Schule anvertrauen können, ohne dass sie nachher nicht mehr wissen können, wer was über sie und ihre Kinder weiß. Bei Werbe- und Finanzdienstleistern aber sind die Namen und Adressen von Schülern und ihren Eltern heiß begehrt, denn welches werbende Unternehmen möchte nicht die Verbraucher von morgen schon heute am Schultor abholen können? Zumal, wenn die Daten der Eltern gleich mitgeliefert werden. Nun, wir hoffen, dass tatsächlich viele Unternehmen dieser Verlockung widerstehen.
Nicht so aber unser Preisträger, der Verlag für Wissen und Innovation in Starnberg. Dieser arbeitet mit einem höchst unerfreulichen Datensammlungsmodell: Er verschickt an Schulen Gutscheine für Bücher angesehener Kinder- und Jugendbuchverlage mit der freundlichen Bitte, diese Gutscheine doch in den Schulklassen zu verteilen. Als kleine Draufgabe gibt es für die Schule gleich auch ein Buchgeschenk und die Teilnahme an einer Verlosung. Auch die kooperativen Lehrer bekommen ein Buch geschenkt. Für die Schüler und ihre Eltern hat das Geschenk aber einen klitzekleinen Haken: Geschenkt bekommt nur, wer Namen und Anschrift des Kindes und mindestens eines Elternteils dem großzügigen Spender mitgeteilt hat.
Bis hierhin passiert nichts im Geheimen, und sogar der Anruf für ein Telefoninterview zum Thema „Lernen-Gesundheit-Zukunft“ wird nicht nur im Kleingedruckten angekündigt. Was die Eltern aber nicht erkennen können: Der spendable Verlag vertreibt selbst gar keine eigenen Bücher, dafür kooperiert er aber mit Anlageberatern und einem Hersteller von Vitaminpillen. Und da sind sie auch gleich wieder, die drei Sorgenkinder junger Eltern: schulische Lernleistung, Gesundheit und die – finanzielle – Zukunft. Dahinter steht, frei nach Amazon, der Gedanke: „Menschen, die Schulbücher kaufen, kaufen auch Versicherungspolicen und Gesundheitsartikel“.
Legal? Illegal? Wer Eltern von Grundschulkindern mit Sachbüchern lockt, um damit an die Daten der kleinen Konsumenten von morgen und ihrer Eltern zu kommen, hat sich – so oder so – einen Big Brother Award in der Kategorie „Verbraucherschutz“ verdient.
Warum vergeben wir heute gleich den Höchstpreis für eine Geschäftspraxis, die man im Internet millionenfach als „Honeypot“ kennt? Wir haben uns entschieden, dafür einen Hauptpreis zu vergeben, weil wir in Erinnerung rufen müssen, dass der Big Brother Award in der Kategorie „Regional“ im Jahr 2005 nicht aus Spaß vergeben wurde. Damals wurden die Grundschule Bünde-Ennigloh und die Volksbank und die Sparkasse Herford prämiert. Dafür, dass die Banken sich von der Schule die Schülerdaten übermitteln ließen. Und auch damals waren schon Buchgeschenke an Lehrer und Eltern ein probates Zugmittel.
Es ist der Jury übrigens nicht bekannt geworden, dass sich beispielsweise die Schulaufsicht damals der Sache angenommen hätte. Wir wiederholen uns nur ungern und auch nur, wenn es pädagogisch unbedingt notwendig ist. Also aufgepasst, Aufsichtsbehörden, Schulleitungen, Schülervertretungen und Eltern: Achten sie auf unseren diesjährigen Preisträger und die, die es ihm gleichtun. Fangen sie am besten gleich morgen damit an.
Herzlichen Glückwunsch an Herrn Horst Müller mit seinem Verlag für Wissenschaft und Innovation in Starnberg!