Thomas de Maizière und Hans-Peter Friedrich
Der BigBrotherAward 2015 in der Kategorie Politik geht an Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich für die systematische und grundlegende Sabotage der geplanten Europäischen Datenschutzgrundverordnung.
Ich hatte vor einiger Zeit die zweifelhafte Freude, mit Herrn Ex-Minister Friedrich für die „ZEIT ONLINE“ ein Doppelinterview zu haben – eine unterhaltsame Erfahrung. Da sitzt ein Bundesminister in einem Büro hoch über der Spree, und die Beamten suchen sich als „Gegner“ in einer Diskussion zum Datenschutz einen ausländischen, damals 25-jährigen Jura-Studenten aus – also die möglichst geringste Gefahr. Traurig und Bezeichnend.
Vor mir stand also der Bundesinnenminister der Bundesrepublik Deutschland. Eigentlich einer der mächtigsten Player im EU-Datenschutz-Poker. In der Realität ein Bayer vom Format „Provinzpolitik“. „I bau eich a neiche Bruckn don kenz schnölla zum Einkaufszentrum foan“ – das wäre ein Programm, das man ihm abgenommen hätte. Grundrechte, komplizierte Abwägungen und Weitblick? – Fehlanzeige.
Die Diskussion führte ich am Ende de facto mit dem zuständigen Beamten, weil Minister Friedrich von Datenschutz schlichtweg keine Ahnung hatte – die ZEIT wollte es schon als „Dreifachinterview“ bringen, was das Ministerium unterband. Die Aussagen des Beamten wurden am Ende teilweise dem Minister zugeschrieben, große Teile konnte man gar nicht bringen.
Warum erzähle ich Ihnen diesen Schwank? Weil er bezeichnend ist für das Problem bei der deutschen Datenschutzpolitik: Beamte übernehmen das Ruder, weil die politische Führung versagt.
Beide Innenminister, der jetzige, Thomas de Maizière, und der ehemalige, Hans-Peter Friedrich, ließen ihre Beamten so, in enger Kooperation mit Lobbyverbänden, den europäischen Datenschutz ins Gegenteil verkehren. So sollen Errungenschaften wie die Datensparsamkeit (also dass nur jene Daten gesammelt werden dürfen, die notwendig sind), die informierte Zustimmung und die Zweckbindung (also dass z.B. Bankdaten nicht an Werbeunternehmen weitergeleitet werden dürfen) quasi abgeschafft werden.
Das deutsche Innenministerium ist, wie interne Dokumente zeigen, an dieser Grundrechts-Vernichtung federführend beteiligt. Bei unserem Projekt „LobbyPlag“ führte Deutschland die Negativ-Statistik aller EU-Staaten sogar an. Kein anderes Land unterstützte in den ersten drei Kapiteln der Verordnung mehr negative Änderungen – das vermeintliche „Mutterland des Datenschutzes“ verwies damit sogar Großbritannien auf Platz zwei der Datenschutzkiller. Deutschland als Europameister …
Das Justizministerium als Schattenministerium für den Datenschutz äußert zwar hinter vorgehaltener Hand Kritik – die zuständigen Minister der FDP und nun der SPD hüllten sich aber am Ende doch größtenteils in Schweigen. Und das, obwohl der aktuelle deutsche Koalitionsvertrag eigentlich das Festhalten an den Grundprinzipien des Datenschutzes festgeschrieben hat.
In der Öffentlichkeit wird während dessen vom angeblich „hohen deutschen Datenschutzniveau“ gesprochen. Dabei ist das deutsche BDSG zwar der unangefochtene Europameister der Komplexität, aber in vielen Punkten auch schwächer als die Gesetze in vielen anderen europäischen Staaten – und in einigen Punkten möglicherweise sogar europarechtswidrig.
Statt einem „hohen Datenschutzniveau“ wurden die im deutschen Recht massenhaft angelegten Ausnahmen und Privilegierungen nach Brüssel getragen und regelmäßig noch stark erweitert. Wenn die Innenminister also versprachen, das deutsche Datenschutzniveau europaweit zu verankern, dann muss man das wohl als Drohung aufnehmen – nicht als Versprechen.
Die Lobbyisten sind hingegen begeistert, immerhin dachte man, Deutschland wäre eine harte Nuss in den Verhandlungen. „Liebe Mitstreiter“ sind die internen E-Mails zwischen Lobbyisten und Ministeriumsmitarbeiter betitelt, und es ist wohl bezeichnend für die Situation.
„Ich bitte daher um möglichst rasche Rückmeldung, ob Sie vielleicht noch ein, zwei harte Punkte haben, die wir noch kurzfristig einbringen sollen“, fragt das Ministerium bei Lobbyisten um Unterstützung an – garniert mit den neuesten (und eigentlich geheimen) Verhandlungsdokumenten aus Brüssel.
Während sich Vertreter der Zivilgesellschaft, z.B. der Verbraucherverband, nicht gehört fühlen, kommunizieren die Beamten ausführlich mit Lobbyisten oder Mitarbeitern des Internet-Instituts der Berliner Humboldt-Universität. Das von Google mitfinanzierte Institut hat „bahnbrechende“ Forschungsergebnisse zur Zukunft des Datenschutzes, die de facto auf die Abschaffung der Grundprinzipien des Datenschutzes hinauslaufen – natürlich nur, um das Potential von „Big Data“ für die so gern vorgeschobenen „Startups“ voll auszuschöpfen.
Das Ministerium tut am Ende genau das, was die Industrie wünscht.
Das deutsche Bundesinnenministerium ist unter anderem zuständig für die Polizei – und gleichzeitig für den Datenschutz. Dieser Interessenskonflikt, die Überhöhung der deutschen Datenschutzgesetze und drittens die erschreckenden Verflechtungen zwischen Beamten und Lobbyisten – all das führte dazu, dass Deutschland statt einer Bastion des Datenschutzes in Europa zu einem der größten Saboteure in den Verhandlungen wurde.
Wir leben in einer Demokratie. Wenn unserer Vertreter ihre Positionen jedoch nicht mehr an dem Willen der Menschen, sondern an Lobbyinteressen orientieren – wenn sie Grundrechte auf Zuruf der Industrie verstümmeln – und wenn der Öffentlichkeit gleichzeitig dreist zugerufen wird, das „hohe deutsche Datenschutzniveau“ nach Brüssel getragen werden soll, dann kann ich den Ministern Hans-Peter Friedrich und Thomas de Maizière nur zum BigBrotherAward 2015 gratulieren – sie haben ihn wahrlich verdient.