Regional (2001)

Hans-Ehrenberg-Gymnasium

Hier wurde das Hans-Ehrenberg-Gymnasium, Bielefeld, für das Projekt „School-Card mit Fingerabdruck“ ausgezeichnet.
Laudator.in:
Jens Ohlig am Redner.innenpult zu den BigBrotherAwrds 2001.
Jens Ohlig, Chaos Computer Club (CCC)

Der BigBrotherAward der Kategorie „Regional“ geht an das Evangelische Privatgymnasium für Knaben und Mädchen Hans-Ehrenberg-Schule in Bielefeld-Sennestadt für sein Projekt „school-card“.

Der Preisträger im regionalen Bereich liegt mir besonders am Herzen, und das aus zweierlei Gründen. Der trivialere der beiden Gründe ist, dass ich an dieser Schule einen Großteil meiner Gymnasiumslaufbahn absolviert habe, bis hin zum Abitur. Der zweite Grund liegt tiefer: Hier wird ein Projekt zum Unterrichtsgegenstand gemacht, das nicht nur fahrlässig mit der Privatsphäre umgeht, sondern auch fragwürdige Inhalte in den Unterricht einbringt. Die Einstimmung auf eine Welt mit eingeschränkter Privatsphäre wird zum Lehrstoff.

Als ich Ende der Achtzigerjahre die Hans-Ehrenberg-Schule besuchte, gab es dort Automaten für Heißgetränke. Irgendwann stellte sich heraus, dass die Automaten auch die polnische Währung Zloty akzeptierten, die zu einem sehr günstigen Wechselkurs zu haben war: Der Kurs war 1 zu 1, also etwa einen Eimer Zloty für eine Mark. Ich habe an dieser Schule damals viel gelernt. Dass es eine Illusion ist, an die Unfehlbarkeit von Technik zu glauben, war einer der Punkte, der hier in Freistunden und Pausen klar wurde.

Gründe

Seit einiger Zeit gibt es zumindest für die Schüler einer Jahrgangsstufe nicht mehr die Möglichkeit zu solchen Experimenten. Mit der im Informatik-Unterricht von Herrn Josef Jürgens zusammen mit Schülern entwickelten school-card soll die Anonymität des Geldes abgeschafft werden.

Wenn es nur darum ginge, dem Hausmeister das Herausfischen der Zloty-Münzen zu ersparen, wäre dies sicherlich ein ehrbares Projekt. Aber bei der von der Jahrgangstufe erprobten school-card handelt es sich um viel mehr. Hier wird zu jeder Transaktion eindeutig ein Käufer zugeordnet, das Bargeld, das anonymes Bezahlen möglich macht, verschwindet. Lernziel wird die Gewöhnung an den überwachten Konsum.

Erreicht wird die eindeutige Zuordnung durch einen Fingerabdruck. Die biometrische Authentifizierung ist nicht nur von der Fälschungssicherheit wieder im Gespräch, sie ist auch schwer im Mode, seitdem Innenminister Schily sie in den Personalausweis integrieren will und damit alle Bürger Deutschlands unter Generalverdacht stellen möchte. Bei einer school-card, die zum Einkauf in der Cafeteria genutzt werden soll, würde sich eine komplette Fälschung finanziell sicher nicht lohnen. Fataler ist hier die Gewöhnung an die Biometrie, die als selbstverständliche und „absolut sichere“ Authentifizierung eingeführt wird. Wenn der Satz stimmt, dass wir nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen, so wird hier auf ein Leben vorbereitet, das Sicherheit und Authentifizierung vor die Unbestimmtheit und das kleine Geheimnis stellt. Gerade die Unbestimmtheit, die Privatsphäre, machen bei einem Menschen aber das aus, was wir mit dem Wort „Freiheit“ zusammenfassen.

Sicher, die school-card ist gut gemeint. Sie ist eine Initiative im Sinne der Schüler, die etwas lernen. Begründet wird das Projekt mit der hohen Verschuldung bei Jugendlichen. Durch die school-card, bargeldlos und „absolut sicher“ sollen Schüler an die Bezahlung mit Kreditkarten gewöhnt werden. Eine Logik, die sich zumindest nicht sofort erschließt, denn gerade die Möglichkeit, mit Kreditkarten bargeldlos einzukaufen, dürfte nicht nur bei Schülern ein Grund für Überschuldung sein. Und warum soll der Umgang mit der Kreditkarte erlernt werden? In Deutschland hat sich dieses Zahlungsmittel nie ganz so durchsetzen können wie in den USA. Möglicherweise liegt dies an der anderen Kultur in Deutschland, an einer durch ein relativ ausgereiftes Datenschutzgesetz und die Debatte um die Volkszählung sensibilisierte Bevölkerung. Ist hier eine Umerziehung wirklich notwendig und für wen wäre sie wünschenswert?

Die school-card der Hans-Ehrenberg-Schule ist im Moment noch ein Experiment, das regional auf eine Schule in Bielefeld begrenzt ist und deshalb auch regional ausgezeichnet wird. Sie zeigt aber viele Aspekte auf, die auch überregional interessieren: Bargeld soll verschwinden, biometrische Authentifizierung soll normal werden. Bei der school-card handelt es sich um ein Beispiel aus der Region, das eben nicht Schule machen sollte.

Jahr
Kategorie

Laudator.in

Jens Ohlig am Redner.innenpult zu den BigBrotherAwrds 2001.
Jens Ohlig, Chaos Computer Club (CCC)

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

BigBrother Awards International (Logo)

BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.