Lebenswerk (2002)

Microsoft

Vor allem für die Einführung des sog. "Digital Rights Managements" (DRM) geht der Hauptpreis an die Software-Firma Microsoft.
Laudator.in:
Patrick Goltzsch am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2000.
Patrick Goltzsch, Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG)

Der Lifetime-Award (und diesjährige Hauptpreis) geht an Kurt Sibold, Geschäftsführer von Microsoft Deutschland.

Die Firma erhält den Preis vor allem für seine Verdienste bei der flächendeckenden Einführung von Kontrolltechnologie für Urheberrechte: Digital Rights Management.

Gründe

Microsoft ist bereits in den vergangenen Jahren aus unterschiedlichen Gründen für den Big Brother Award nominiert worden. Anlass dazu hat die Firma mit unschöner Regelmäßigkeit immer wieder gegeben.

So wird vielen noch in Erinnerung sein, dass Windows 98 bei der automatischen Online-Registrierung die Festplatte und die Hardware-Konfiguration seiner Nutzer durchleuchtete und die Ergebnisse zusammen mit einer Kennung an Microsoft meldete. Diese weltweit einzigartige Identifkationsnummer eines Rechners konnte über das Internet abgefragt werden und tauchte auch versteckt in Office-Dokumenten und E-Mails wieder auf1. Bei Microsofts aktuellem Betriebssystem Windows XP wird der Nutzer nicht mehr automatisch und klammheimlich registriert. Aber die Option, sich nicht zu registrieren, hat er keineswegs. Dann nämlich schaltet sich die Software 30 Tage nach ihrer Installation einfach ab.

Obwohl Microsoft sich schon so oft preiswürdig präsentiert hat, erhält das Unternehmen in diesem Jahr nicht nur den Lifetime-Award sondern auch den Hauptpreis.

Den Anlass lieferte Microsoft mit dem Update für den hauseigenen Media Player. In der damit einhergehenden Veränderung der Lizenz räumte sich Microsoft großzügig das Recht ein, Updates, die das Betriebssystem um Funktionen zum Digital Rights Management (DRM) erweitern, automatisch einzuspielen2.

Digital Rights Management soll ein Problem lösen. Früher waren Inhalte durch die Bindung an ihre materiellen Träger quasi kopiergeschützt. Bei digitalisierten Inhalten verschwindet der Unterschied zwischen Original und Kopie: Auch die 100ste Kopie einer Musik-CD klingt genauso wie das Original. Da die bisherigen Mechanismen zum Kopierschutz immer wieder ausgehebelt wurden, soll nun DRM das Urheberrecht wahren. DRM setzt am Inhalt selbst an: So wird z.B. ein Musikstück mit bestimmten Regeln gekoppelt. Diese Regeln bestimmen dann darüber, wie oft die Musik gehört werden darf, ob sie sich kopieren lässt oder auf welchem Gerät sie abgespielt werden kann. Der Versuch, die Regeln vom Inhalt zu trennen, führt dazu, dass die Musik sich nicht mehr abspielen lässt.

Microsofts Version von DRM trägt den Codenamen Palladium3. Damit bezeichnet der Konzern Grundzüge für ein Betriebssystem, das ein Restriktionsmanagement bereits auf der untersten Ebene verankert. Mit diesem Vorhaben wird der herkömmliche PC grundlegend verändert: Aus einem Allzweckwerkzeug, über das die Anwender bestimmen, wird ein Copyright-Polizist, der in erster Linie die Nutzer kontrolliert.

Das „R“ in DRM muss hier als Restriktion verstanden werden, weil es Software-Herstellern, Filmstudios und Plattenfirmen erlaubt, den Verbrauchern auch nach dem Kauf vorschreiben zu können, wie die Produkte zu verwenden sind. Stellen sie sich vor, dass sie mit ihrem Auto nur noch Benzin einer bestimmten Marke tanken können. Denn an den Tankstellen der Konkurrenz fehlt der per Funk übertragene elektronische Schlüssel, mit dem die Tankklappe freigeschaltet wird. So etwas geschieht natürlich nur im Interesse des Verbrauchers: Der Hersteller hat den Kraftstoff einer bestimmten Marke zertifiziert und kann so für optimale Motorleistung und Lebensdauer garantieren.

Vielversprechend liest sich denn auch Microsofts Begründung des Restriktionsmanagements: Die Verbraucher werden in Zukunft immer sicher sein können, dass der Inhalt, den sie über ihre Rechner sehen oder hören, authentisch und rechtlich einwandfrei ist. Außerdem erhalten sie die Möglichkeit darüber zu bestimmen, was ein Empfänger mit ihrer E-Mail anfangen darf: Darf er sie ausdrucken? Darf er sie weiterleiten? Darf er sie beliebig lange speichern? Zusätzlich werden ein paar Nebelkerzen gezündet, die ein Ende der Virenplage und der unerwünschten E-Mail-Werbung verheißen.

Ungesagt bleibt dabei, dass in dieser schönen, neuen Welt auch die Programme ein Wörtchen mitzureden haben. Denn sie „unterstützen“ – wie es so schön heißt – die Anwender bei der schweren Entscheidung, ob eine Datei aus dubiosen Quellen stammt oder vertrauenswürdig ist. Auf diese Weise zementiert die Computerindustrie, was sie – und auch hier wieder insbesondere Microsoft – durch die sorgfältige Missachtung von Standards bislang nur unvollkommen zustande gebracht hat: Den Verbraucher an ihr – und nur ihr – Produkt zu binden. Denn was hindert ein Programm aus dem Hause Microsoft daran, alles als nicht vertrauenswürdig einzustufen, was nicht mit Microsoft-Produkten erstellt wurde?

Die Informationen, die das Programm benötigt, um die Anwender einschränken zu können, erhält es von seinem Hersteller oder dem Lieferanten des Inhalts. So kontrolliert Microsofts Leseprogramm für elektronische Bücher, auf wievielen Geräten es installiert ist. Mehr als vier Geräte sind nicht erlaubt. Dem Verleger bleiben die Festlegungen überlassen, wie lange der Inhalt zur Verfügung steht, wie häufig er gelesen werden kann, ob das Buch kopierbar ist, usw.

Informationen über die Anzahl der eingesetzten Geräte erhält das eBook-Programm über Microsofts Passport-System4. Für die Aktivierung des Readers wird ein Konto bei Passport benötigt, und dort wird die weltweit eindeutige Programmkennung zusammen mit anderen Informationen über den Nutzer hinterlegt. Damit zeigt sich eine weitere Konsequenz digitaler Restriktionssysteme: Sie eröffnen die Möglichkeit detaillierter Datensammlungen – wenn Sie nicht mehr wissen, welche Musik Sie in der letzten Woche gehört haben, die DRM-Datenbank könnte ihnen garantiert weiterhelfen.

Microsoft hat uns labile Betriebssysteme beschert, einem Überfluss an Viren den Boden bereitet und für einen Mangel an Standards gesorgt. Und nun sollen die Anwender mit der Einführung von DRM endgültig ans Gängelband genommen werden. Das ist preiswürdig.

Herzlichen Glückwunsch, Microsoft, zum BigBrotherAward!

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Updates zu diesem Preisträger

Laudator.in

Patrick Goltzsch am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2000.
Patrick Goltzsch, Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG)
Quellen:

1 Heise-News-Meldung: Microsoft hat Kunden heimlich numeriert (Web-Archive-Link)

2 Telepolis: Auf leisen Sohlen vom Betriebs- zum DRM-System [Inhalt nicht mehr verfügbar]

3 Microsoft „Palladium“: A Business Overview [Inhalt nicht mehr verfügbar]

4 Passport [Inhalt nicht mehr verfügbar]

Weiterführend:

TCPA-FAQ (Web-Archive-Link)

Das Ende des Allzweck-Computers steht bevor (FifF Kommunikation) [Inhalt nicht mehr verfügbar]

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

BigBrother Awards International (Logo)

BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.