Tadel & Lob (2008)

Trends, Tadel, Rückblicke

Welche gefährlichen Trends der Datensammelei gibt es in diesem Jahr?

Trends

Unternehmen räumen sich großzügige Möglichkeiten zur Datenweitergabe ein

Alvar Freude

Viele im Internet tätige Unternehmen nehmen sich in ihren Datenschutzbedingungen unbestimmte bzw. sehr weit gehende Rechte heraus. So definiert beispielsweise Apple für sich, Informationen von Kunden weiter geben zu dürfen, wenn das Unternehmen der Überzeugung ist, dass dies „für die nationale Sicherheit, den Gesetzesvollzug oder andere öffentliche Interessen notwendig“ sei. Werden dann Daten weitergegeben, kann Apple sich fein herausreden: Irgendein öffentliches Interesse lässt sich immer finden! Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Trend nicht weiter ausdehnt.

Ausweiskopien für jeden Zweck

Florian Glatzner

Es ist ganz normal, dass man sich durch die Vorlage seines Personalausweises identifiziert, beispielsweise in Videotheken, bei der Erstellung von Nachschlüsseln, bei der Anmeldung in Online-Communities oder am Check-In Schalter von Fluggesellschaften. In den letzten Jahren zeigt sich aber der Trend, dass die Ausweise nicht nur zu Identifikationszwecken geprüft, sondern gleich auch kopiert werden. Was mit diesen Kopien geschieht, wie, wo und wie lange sie aufbewahrt werden, ist in den meisten Fällen unklar. Diese Kopien enthalten wesentlich mehr Daten als zur Feststellung der Identität oder der Adresse erforderlich sind. Es ist in der Regel völlig ausreichend, wenn die entsprechende Stelle Namen und Anschrift aufnimmt und vermerkt, dass man sich ausgewiesen hat. Deshalb: Wehren Sie sich, wenn jemand ohne Ihre ausdrückliche Einwilligung Ihren Ausweis kopieren möchte.

Schwelle zur Veröffentlichung von Aufnahmen aus Videoüberwachungsanlagen sinkt

Frank Rosengart

Die Polizei in Brandenburg fahndete öffentlich mit Ausschnitten aus der Videoüberwachung einer Straßenbahn nach offensichtlich Minderjährigen, die einem Mitschüler den Schulrucksack entwendet haben sollen. Musste vor einiger Zeit noch eine schwere Straftat vorliegen, bevor eine Öffentlichkeitsfahndung in Betracht kam, so scheint mittlerweile die Hemmschwelle beunruhigend gesunken zu sein

 

Tadelnde Erwähnungen

Bundesinnenministerium: Gemeinsames Informationszentrum (Abhörzentrale) beim Bundesverwaltungsamt

Rolf Gössner

Das Bundesinnenministerium plant eine zentrale Abhöranlage für alle Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder beim Bundesverwaltungsamt (BVA) in Köln unter Verletzung des Föderalismusprinzips und des verfassungskräftigen Gebots der Trennung von Polizei und Geheimdiensten. Das BVA wird dadurch zur technischen Zentralstelle der bundesdeutschen Telekommunikationsüberwachung und zu einer weiteren Schnittstelle zwischen Polizeien und Geheimdiensten ausgebaut. Mit dieser Zentralisierung und der informationellen Vernetzung, die seit längerem auf unterschiedlichen Ebenen betrieben wird, droht eine weitere Machtkonzentration der Sicherheitsapparate, die öffentlich kaum noch kontrollierbar sind.

Gesellschaft für Innovationsforschung und Beratung (GIB): Bizarrer Fragebogen für Hartz-IV-Empfänger

Florian Glatzner

„Finden Sie es schlimm, wenn jemand versucht, seine Ziele auch mit Gewalt durchzusetzen? Glauben Sie, dass das Leben in der DDR gar nicht so schlecht war? Helfen Ihnen Dinge, wie Tarot, Kristalle oder Mandalas dabei, in schwierigen Lebenssituationen die richtige Entscheidung zu treffen?“ – Dies sind nur einige der Fragen, die 3.000 Hartz-IV-Empfänger im Rahmen einer Untersuchung beantworten sollten, die die Gesellschaft für Innovationsforschung und Beratung (GIB) im Auftrag der Hamburger Arbeitsagentur durchgeführt hat. Zum Nutzen dieser Fragen, die tief in die Privatsphäre der Betroffenen eingreifen, fiel selbst dem Chef der GIB, Professor Carsten Becker, keine Erklärung ein. Dagegen kann man sich leicht vorstellen, wie derartige Informationen in den Händen Unberechtigter Schaden anrichten können.

Bundeskriminalamt Wiesbaden: Als Besucher der BKA-Webseite bereits verdächtig

Florian Glatzner

Auf ihrer Internetseite informierte das Bundeskriminalamt in Wiesbaden (BKA) über die linksextremistische Organisation "militante gruppe" und speicherte dann die IP-Adressen der Webseitenbesucher. Doch damit nicht genug: Die Behörde versuchte in 417 Fällen, die Identität dieser Webseitenbesucher zu ermitteln. Damit erhoffte man sich Hinweise zur Identifizierung von Mitgliedern der "militanten gruppe", so das BKA. Willkürlich geraten unverdächtige Menschen in ein Raster und müssen unangenehme polizeiliche Ermittlungen über sich ergehen lassen - und dies, weil sie auf der Webseite einer Bundesbehörde surften! Kann man sich als Bürger überhaupt noch unverdächtig verhalten, wenn so etwas ausreicht, um polizeiliche Ermittlungen zu rechtfertigen?

Quelle AG: Widerspruch statt Einwilligung zur Adressweiterleitung

Karin Schuler

Datenschutz kann ja so unpraktisch sein! Vor allem, wenn man, wie die Quelle AG, mit der Weiterleitung von Adressänderungsmeldungen an die Deutsche Post Adress noch Geld verdienen kann. Da stört das Einholen einer Einwilligung in diese Datenübermittlung doch nur. Quelle jedenfalls gibt dem Kunden gnädigerweise gerade noch vier Wochen Zeit, um der Übermittlung der neuen Anschrift (zu welchem Zweck bleibt unklar) an die Posttochter zu widersprechen. Opt out nennt sich das neudeutsch – datenschutzfeindlich nennen wir das!

Polar Electronic: Fitnesstrainer per Online-Dienst – Gefundenes Fressen für Krankenversicherungen

Frank Rosengart

Polar Electronic, ein Hersteller von Armbanduhren mit Fitnesstrainer-Funktion (Puls, Schrittzähler usw.) bietet seinen Kunden einen Online-Dienst, wo sie nach ihrer Registrierung ein persönliches Trainingsprofil hinterlegen können. Krankenversicherungen dürften für solche Daten dankbare Abnehmer sein, falls die Kundenprofile einmal das Weite suchen. Zum Trost: Immerhin ist die Teilnahme nicht erforderlich für den Betrieb des Gerätes.

Bildungsbüro Herford: Geschäft mit Schülerdaten

Florian Glatzner

Das Bildungsbüro des Kreises Herford nutzt als Grundlage für seine Bildungsberatung den so genannten "Berufsnavigator". Das computergestützte Programm erstellt Persönlichkeitsprofile von Schülern, vergleicht sie mit den Anforderungsprofilen unterschiedlicher Berufe und gibt Berufsempfehlungen aus. Sieht man einmal genauer in den Vertrag zwischen dem Kreis Herford und dem Anbieter des Berufsnavigators, so stößt man auf einen überraschenden Passus: Die Adress-Daten vielversprechender Berufsnavigator-Teilnehmer sollten für einen Preis von 200 Euro an Arbeitgeber und weitere "interessierte Firmen" verkauft werden. Dies wurde den betroffenen Schülern jedoch weder klar mitgeteilt, noch wurde deren Einwilligung in die Datenweitergabe eingeholt.

 

Rückblicke

Anonyme Anzeigemöglichkeiten im Internet fördern Denunziation

Rolf Gössner

Anonyme Anzeigen bei so genannten Online- oder Internet-Wachen der Polizei führen immer wieder zu Polizeimaßnahmen gegen unbescholtene Bürger und damit zu gravierenden Grundrechtsverletzungen. Seit der Installation eines Internet-Portals des niedersächsischen Landeskriminalamts zum anonymen Anschwärzen, das anlässlich der BigBrotherAward-Verleihung 2004 tadelnd erwähnt wurde, sind solche vereinfachten Online-Anzeigemöglichkeiten bundesweit ausgebaut worden, obwohl sie in höchstem Maße missbrauchsanfällig sind und Denunziationen fördern.

Bundesagentur für Arbeit: Unschöne Alternative: Geld oder Persönlichkeitsrechte

Karin Schuler

Seit der Preisverleihung 2004 hat sich die Einstellung der Bundesagentur offensichtlich nicht wirklich geändert. Geld oder Persönlichkeitsrechte – vor diese Alternative sehen sich Hartz IV-Empfänger nach wie vor gestellt. Wer auf Geld vom Staat angewiesen ist, muss sich im schlimmsten Fall überfallartige Wohnungskontrollen, anonyme Denunziation und monatelange Observation gefallen lassen. Da kann er noch froh sein, wenn die Bundesagentur für Arbeit seine Daten „nur“ zur Durchführung einer Befragung an ein Markt- und Sozialforschungsinstitut übermittelt oder ohne Abwägung der Erforderlichkeit umfangreiche Kontoauskünfte verlangt.

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Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

BigBrother Awards International (Logo)

BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.