Amazon Logistik
Der BigBrotherAward 2015 in der Kategorie Arbeitswelt geht gemeinsam an die „Amazon Logistik GmbH in Bad Hersfeld“ und an die „Amazon Koblenz GmbH“.
Die beiden Unternehmen erhalten den BigBrotherAward 2015, weil sie von ihren Beschäftigten verlangen, den gesetzlich verbrieften Schutz privatester Daten – insbesondere im sensiblen Gesundheitsbereich – am Werkstor abzugeben. Die Amazon-Töchter tun dies nicht etwa eigenmächtig. Nein, sie holen sich für ihre datenkrakigen Ansprüche auch noch per Unterschrift die „freiwillige“ Zustimmung von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Damit, so denken sie, sind sie fein raus. Aber einen BigBrotherAward haben sie sich damit redlich verdient.
Wer in einem der beiden Amazon-Unternehmen arbeiten möchte, dem wird zusammen mit dem Arbeitsvertrag eine Einwilligungserklärung zur Unterschrift vorgelegt, in der es heißt:
„Erhobene Daten dienen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BDSG unmittelbar der Durchführung und Abwicklung der aus dem Anstellungsverhältnis resultierenden Verpflichtungen.
Ich erkläre deshalb meine Einwilligung, dass die von mir gemachten personenbezogenen Angaben im Rahmen der Datenverarbeitung verarbeitet und genutzt werden können, auch soweit sie meine Gesundheit betreffen (§§ 4, 4 a BDSG), und dass die Daten an eine Zentraldatenbank in den USA übermittelt und dort verarbeitet und genutzt werden. Die Nutzung dieser Daten erfolgt entsprechend den Regeln des deutschen Datenschutzgesetzes. (…)“
Klingt doch erst mal harmlos. Ist doch alles gesetzeskonform, es stehen schließlich Paragrafen drin, schwarz auf weiß. Aber unter die Lupe genommen stellen sich die zitierten Gesetzesverweise ganz anders dar. Der zitierte § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bundesdatenschutzgesetz in der Einwilligungserklärung darf nämlich schon seit Herbst 2009, seit über fünf (!) Jahren, auf Beschäftigungsverhältnisse gar nicht mehr angewendet werden! Unser Tipp an die bei Amazon Verantwortlichen: Man kann sich über den eigenen Versand einen aktuellen Gesetzestext nebst Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz schicken lassen. Da steht dann drin, dass auf Beschäftigungsverhältnisse statt des besagten § 28 seit 2009 der neue § 32 BDSG anzuwenden ist.
Schon weil sie sich auf den falschen Paragrafen beruft, bestehen erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der Einwilligungserklärung. Zudem fehlt aber auch noch die gesetzlich vorgeschriebene konkrete Festlegung der Verarbeitungszwecke und die Information der Beschäftigten hierüber. Der blutleere Verweis auf die „Regeln des deutschen Datenschutzgesetzes“ reicht dafür nicht aus.
Aufgehorcht haben Sie bei dem Zitat eben aber vielleicht an einer ganz anderen Stelle: Die Daten der deutschen Beschäftigten werden in den USA verarbeitet und genutzt? Einfach so? War da nicht was, dass für so einen Datentransfer auch die EU gefragt werden muss? Ja, dafür müsste es zwingend z.B. einen EU-Standardvertrag geben. Kein Wort darüber in der zur Unterschrift vorgelegten Einwilligung. Ob es solche Abkommen gibt, bleibt für potentielle Bewerber offen.
Für Adresse, Geburtsdatum und andere Daten aus einem Arbeitsvertrag mag das noch tolerabel sein. Bei den Gesundheitsdaten allerdings, zumal für unbestimmte Verarbeitungen und Nutzungen, hört der Spaß auf. Nach deutschen Datenschutz- und Arbeitsrecht ist Arbeitgebern die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung dieser Daten nur in gesetzlich normierten Fällen erlaubt – etwa im Zusammenhang mit der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Jede weitere Verwendung dieser Daten verletzt die Persönlichkeitsrechte und ist deshalb unzulässig. Und damit nicht genug:
In § 5 Abs. 3 des Arbeitsvertrags formulieren die Amazon-Töchter weitere Begehrlichkeiten an Gesundheitsdaten ihrer Beschäftigten, die den Rahmen des Üblichen sprengen:
„Wenn begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters bestehen, so hat die Gesellschaft das Recht, auf eigene Kosten eine ärztliche Untersuchung des Mitarbeiters durch einen von der Gesellschaft zu bestimmenden Arzt zu verlangen.“
Für ein solches Verlangen gibt es im Arbeitsrecht keine Grundlage. Es greift in den Grundsatz der freien Arztwahl ein und verletzt damit massiv die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten. Nach §275 SGB V ist der vertrauensärztliche Dienst der Krankenkassen für Untersuchungen zuständig, um Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu beseitigen, und niemand sonst. Auch nicht der Betriebsarzt, auf den sich § 5 Abs. 4 der Arbeitsverträge bezieht:
„Während der Dauer der Anstellung ist der Mitarbeiter verpflichtet, auf Verlangen der Gesellschaft seine gesundheitliche Eignung [...] durch den Betriebsarzt der Gesellschaft untersuchen zu lassen. Der Betriebsarzt ist nach Absprache mit dem Mitarbeiter berechtigt, die Gesellschaft über das Untersuchungsergebnis zu informieren, sofern und soweit die Untersuchung eine Beeinträchtigung der gesundheitlichen Eignung [...] ergeben hat.“
Diese Vereinbarung, die die Beschäftigten unterschreiben müssen, wenn sie bei einer der Amazon-Töchter arbeiten wollen, ist so allgemein gehalten, dass sie quasi einer Aufhebung der Schweigepflicht gleich kommt – jederzeit und ohne die Nennung von Gründen. Eine solche Offenbarung kann ein Arbeitgeber von seinen Beschäftigten aber nicht fordern.
Nein, niemand wird gezwungen, solche Datenschutz-Erklärungen zu unterschreiben. Es steht jedem Menschen frei, einfach nicht bei Amazon zu arbeiten, wenn man diesen Regelungen nicht zustimmen will. Bezogen auf Arbeitsverhältnisse aber gibt es am Vorliegen der notwendigen Freiwilligkeit ganz grundsätzlich große Zweifel. Schließlich gilt für Arbeitnehmer meistens eher „Friss oder stirb“ statt „Na gut, dann suche ich mir eben einen anderen Job.“
Den deutschen Amazon-Töchtern – und wir gehen davon aus, dass weitere Unternehmensteile mit diesen Regelungen arbeiten, weil es sich bei den uns vorliegenden Verträgen und Erklärungen um Standard-Formulare handelt – können wir nur dringend raten, die bisher verwendeten Einwilligungserklärungen zu vergessen und die Verarbeitung und Nutzung von Beschäftigtendaten in den USA zu stoppen.
Herzlichen Glückwunsch zum BigBrotherAward 2015 „Amazon“ in Bad Hersfeld und in Koblenz.
- Amazons Datenmissbrauchspotential ist größer denn je11.12.2020Update zu BBAs