Der BigBrotherAward 2014 in der Kategorie Arbeitswelt geht an die RWE Vertrieb AG in Dortmund, vertreten durch die Vorstände Prof. Dr. Hanns-Ferdinand Müller, Achim Südmeier und Ralf Zimmermann für die Nutzung ausgeklügelter Überwachungstechnik bei der Kontrolle von Callcenter-Mitarbeitern.
Sie alle kennen das: Sie wählen sich durch die Warteschleifen der Servicetelefonnummern – gerne als „Hotline“ vermarktet – eines großen Versorgers, etwa für Telefondienstleistungen, Versicherungen oder eben für Strom, Wasser oder Gas. Häufig begegnet Ihnen dabei die freundliche Anfrage, ob Sie etwas dagegen haben, wenn das Gespräch – „zur Verbesserung der Servicequalität“ – aufgezeichnet wird.
Wenn Sie da nicht „nein“ sagen, liebe Kundinnen und Kunden, stoßen Sie die Tür zu einer fremden und seltsamen Welt auf. Denn es kann sein, dass Ihr Gespräch tatsächlich aufgezeichnet wird. Und nicht nur das, am anderen Ende der Leitung sitzt die freundliche Servicemitarbeiterin oder der freundliche Callcenteragent und gerät bei dem Versuch ins Schwitzen, Ihnen kunstgerecht Ihre Wünsche zu erfüllen. Denn sie oder er lebt mit der Gewissheit, dass es möglich ist, dass Ihr Gespräch aufgezeichnet und später gegen sie oder ihn verwendet wird. Die dafür verwendete Datenkrakensoftware bei der RWE hat einen Hersteller mit wohlklingendem Namen: „Verint Systems“. Das System geht in seiner Ahnentabelle zurück auf Geheimdienstler, die sich mit einer tollen Geschäftsidee und echtem Spionage-Know-How selbstständig gemacht haben. Der Hersteller Verint Systems wirbt heute damit, dass über 10.000 Organisationen in 150 Ländern seine Produkte nutzen.
Unsere Preisträgerin bedient sich mit dieser Aufzeichnung also eines Instrumentes der Qualitätskontrolle, das so etwas wie die Cousine der Überwachungstechnik der Geheimdienste ist.
Dahinter steht ein Serviceverständnis, das Sie aus der Welt des Yoga kennen: Die Ganzheitlichkeit. Jetzt wird nämlich der arme Callcenteragent ganzheitlich in seiner Leistung überprüft. Nicht nur der Inhalt des Gesprächs – einschließlich der Tonlage, der Dauer, der Stimmungen usw. – sondern auch viele seiner sonstigen Aktivitäten während des Gesprächs und bei der Nachbereitung werden erfasst. Jeder Mausklick, jede gedrückte Taste, einfach alle Parameter werden gemessen und finden ihren Weg in die Speicher der Agentenkontrolle. So haben wir uns in Zeiten, in denen wir von allen Seiten bespitzelt werden, die „Agenten“-Kontrolle nicht vorgestellt, oder?
So sieht sie in Callcentern aber aus, und darin liegt der Skandal: Wer dort arbeitet, sieht sich häufig einer umfassenden Überwachungsmaschinerie ausgesetzt, einer Durchleuchtung des eigenen Verhaltens auf allen Ebenen, ohne jede Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Er oder sie muss damit leben, dass sowohl die Tonspur seiner Gespräche aufgezeichnet werden kann, als auch alle weiteren Aktivitäten am Bildschirmarbeitsplatz. Jeder Klick kann minutiös gemessen und registriert, ausgewertet und verarbeitet werden. So entstehen Leistungs- und Persönlichkeitsprofile. Diese Profile ziehen existenzielle Konsequenzen nach sich. Denn wer gefordert oder befördert, gelobt oder versetzt, belohnt, kalt gestellt oder entlassen wird, liegt im Ermessen des Arbeitgebers. Es soll Unternehmen geben, in denen solche Überwachungsphasen als „Stasi-Tage“ bezeichnet werden.
Möchte man das lange mitmachen? Schon klar: Callcenteragent ist kein Traumberuf, sondern vielmehr für viele aber eine Überwachungshölle. Wir hätten von einem großen Player im Energiemarkt, der immerhin zu 25% noch immer in kommunaler Hand ist, erwartet, dass er sich feinerer Methoden bedient.
Bei den RWE kommt in dieser Überwachungshölle noch eine Besonderheit dazu: Niemand will der Teufel sein. Denn es sind nicht die eigenen RWE-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die der Datenkrake Verint zum Fraß vorgeworfen werden. Diese sind vor solchen Überwachungen durch Betriebsvereinbarungen geschützt. Nein, der Konzern engagiert sich Subunternehmer, welche den Telefonservice übernehmen. Einer der Branchenführer wirbt ausdrücklich damit, 400 im Energiemarkt besonders erfahrene Agenten im Einsatz zu haben und gibt als Referenzunternehmen für seinen Service im Energiemarkt wen wohl an? Unsere Preisträgerin.
Denn so es ist am Ende niemand gewesen: Die Geheimdienstler haben ja bloß eine ausgefuchste Technik geliefert. Der Konzern ist für die konkreten Kontrollmaßnahmen den Callcenter-Mitarbeitern gegenüber arbeitsrechtlich nicht verantwortlich, denn die telefonieren ja im Sold eines Subunternehmers. Und dieser Subunternehmer erfüllt ja nur einen besonderen Kundenwunsch, wenn der Auftraggeber mit der Leistung seines Mitarbeiters nicht zufrieden ist. Dass in der Branche stabile Arbeitsverträge die Regel wären, behauptet schließlich leider auch niemand.
Unser Rat also: Schalten auch Sie das nächste Mal auf ein überwachungsfreies Servicegespräch um, wenn Sie eine freundliche Stimme sagen hören: „Zu Optimierungszwecken können einzelne Gespräche aufgezeichnet werden. Wünschen Sie dies nicht, drücken sie bitte die Taste …“
Herzlichen Glückwunsch zum BigBrotherAward, RWE Vertrieb AG Dortmund!