Technik (2015)

„Hello Barbie“

„Hello Barbie“, vertreten durch die beteiligten Hersteller Mattel und Toytalk, erhält den BigBrotherAward in der Kategorie Technik. Die Puppe ist ausgestattet mit Mikrofon und WLan. Damit zeichnet sie Gespräche auf, sendet diese zur Analyse in die Cloud und formuliert eine mehr oder weniger passende Antwort. So werden die Träume und Sorgen junger Konsument.innen auf zentralen Servern gesammelt. Diese akustische Überwachung im Kinderzimmer sendet Helikopter-Eltern sogar einen täglichen Report. In Deutschland ist diese Barbie (noch) nicht erhältlich.
Laudator.in:
Linus Neumann am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2015.
Linus Neumann, Chaos Computer Club (CCC)

Der BigBrotherAward 2015 in der Kategorie Technik geht an die „Hello Barbie“, vertreten durch die Herstellerfirmen Mattel und Toytalk.

Was soll schon so schlimm sein an einer Puppe, die mit Mikrofon, Lautsprecher und WLAN ausgestattet ist? Sie müssen nur kurz die AGB akzeptieren!

Haben Sie etwa Angst, dass Ihre Kinder belauscht werden? Keine Sorge! „Hello Barbie“ zeichnet nur auf, wenn ein Knopf gedrückt wurde. Und schickt die Aufnahme dann in die Cloud. Zu Toytalk.

Toytalk ist ein amerikanisches Unternehmen, das sich auf Spracherkennung bei Kindern spezialisiert hat. Lustige kleine Smartphone-Apps haben Toytalk erst viele Millionen Dollar Investment, und dann eine Partnerschaft mit dem Spielzeughersteller Mattel eingebracht.

Spracherkennung an sich ist nichts Schlechtes. Sie erleichtert uns das Erledigen unliebsamer Aufgaben und sie ermöglicht vielen von uns ein barrierefreies Leben.

Wir können Texte diktieren, ohne uns einen Tennis-Arm zu holen.
Wir können beim Autofahren SMS schreiben, ohne kleine Kinder zu überfahren.
Wir können bei unserer Bank anrufen, ohne mit dem schlecht gelaunten Betreuer streiten zu müssen.

Daten an sich sind auch nichts Schlechtes. Mit ihrer Hilfe können Krankheiten geheilt, Unfälle verhindert und politische Missstände aufgedeckt werden.

Viele Dienstleistungen der Informationsgesellschaft werden durch Datensammlung besser:

Wir können mit Googles Hilfe schnell das Suchergebnis finden, das schon viele vor uns gesucht haben.
Wir können Staus und zäh fließenden Verkehr umfahren an, in dem andere Google-Nutzer gerade stehen.
Wir finden immer zielsicher das beste Restaurant in der Gegend, egal wo wir gerade sind, Dank der Bewertungen anderer Gäste.

Für das Nutzen dieser Daten bezahlen wir inzwischen häufig mit unserer eigenen Datenspende in den großen Pool. Manchmal kann das sogar ein richtig guter Tausch sein. Oft aber auch nicht.

Wenn alle unsere E-Mails mitgelesen werden, um uns daneben die passende Werbung zum Tod unserer Großmutter zu präsentieren, wenn Amazon noch vor uns selbst von unserer ungewollten Schwangerschaft weiß, wenn Facebook uns auf Fotos erkennt, ob wir wollen, oder nicht – dann ist das immer nur eine kleine Vorschau auf die Macht, die sich in den angehäuften Daten verbirgt.

Unser Verhalten wird minutiös protokolliert, durch Analysen erklärt, und durch gezielte Maßnahmen manipuliert. Meist mit der Absicht, uns danach etwas dazu passendes zu verkaufen. Kurzum: Unser Verhalten wird monetarisiert.

Als informierte und mündige Bürger brauchen wir eine Sensibilität dafür, welche Daten wir in wessen Hände geben, und was damit angestellt wird. Wir müssen den schmalen Grat finden zwischen einer goldenen Zukunft des Fortschritts – und der Unterwerfung unseres Zusammenlebens unter die gewinnorientierten Interessen einiger weniger großer Konzerne.

Der mündige Bürger muss Kosten und Nutzen abwägen:

Ich soll verraten, wohin ich fahre, um einfacher und schneller zum Ziel kommen?

Okay, Deal!

Ich soll meinen Kalender online in den USA hosten lassen, damit er sich einfacher zwischen Smartphone und Laptop synchronisiert?

Na gut …

Ich soll mein Wohnzimmer abhören lassen, damit ich mit meinem Fernseher sprechen kann?

Moment mal!

Ja, George Orwell hat vieles vorhergesehen …
Aber nicht, dass wir uns die panoptischen Teleschirme auch noch freiwillig kaufen würden!

… und erst recht nicht, dass sie die Form von Barbie-Puppen haben würden.

Wie so viele andere Dienste ist auch die Spracherkennung in die Cloud gewandert. Der Algorithmus verbessert sich täglich, so dass die Geräte uns immer besser verstehen. Neue Funktionen können ohne Updates eingebaut werden, und auf dem Gerät selbst werden Speicherplatz und kostbare Akkulaufzeit gespart. Gleichzeitig lernen die Großrechner in der Cloud immer mehr von und über uns, damit wir eine möglichst persönliche Behandlung erfahren.

Wenn die Spracherkennung aber in der Cloud liegt, dann geben wir die hinter einem Service stehenden Abläufe aus der Hand.
Wenn wir zum Beispiel eine Internet-Suche mit den Worten "OK Google" einleiten,
oder per Sprachbefehl den Sender an unserem Fernseher wechseln,
oder über den Amazon Echo-Lautsprecher eine Bestellung tätigen,
dann sprechen wir nicht mit unserem Gerät, sondern mit einer Serverfarm irgendwo da draußen in den Weiten des Internets.

Und wenn unser Smartphone dann die SMS an Mutti schreibt, einen Termin in unseren Kalender einträgt oder unsere Frage beantwortet, dann ist es genau diese Serverfarm, die unser Gerät fernsteuert.

Eine Serverfarm in den Händen eines Konzerns, der die Mikrophon-Mitschnitte der Welt sammelt, analysiert, und speichert.

Machen Sie sich da regelmäßig Gedanken drüber?
Haben Sie sich überhaupt schon einmal Gedanken darüber gemacht?

Ganz wichtig ist für diese Konzerne: Damit sich die Investitionen in den Elektronik-Wachstumsmarkt auch lohnen, müssen unsere lieben Kunden und Kundinnen möglichst früh mit der Technik vertraut gemacht werden. Denn was schon im Kinderzimmer normal war, ist später umso selbstverständlicher.

Mit der Barbie fängt es an, "Bob der Baumeister" und Playmobil-Figuren werden folgen, wenn die Kunden mitspielen. Dabei weiß Mattel sehr genau, woher der Wind weht - in Europa wird die "Hello Barbie" wegen der befürchteten Datenschutzbedenken vorerst gar nicht auf den Markt kommen.

Mit WLAN, Mikrophon und Lautsprecher ermöglicht die neue "Hello Barbie" schon unseren Kindern, sich mit einer Serverfarm irgendwo da draußen in den Weiten des Internets zu unterhalten. Sie bringt eine datenschutzrechtlich äußerst fragwürdige Technik ohne erkennbaren sinnvollen Anwendungszweck direkt in unsere Kinderzimmer.

Damit Gespräche überhaupt möglich werden, merkt „Hello Barbie“ sich, was unsere Kinder ihr erzählen. Später kann sie im Gespräch darauf zurückgreifen, und dadurch eine echte Freundin imitieren. Die lieben Eltern  sorgen sich, was ihre Kinder der Puppe, pardon, Serverfarm so alles über sich erzählen? Kein Problem! Selbstverständlich lässt Mattel Sie an den gesammelten Daten teilhaben: In einer täglichen oder wöchentlichen E-mail erhalten Sie das Protokoll der Sorgen, Träume und Geheimnisse, die Ihr Kind seiner besten Freundin, der Serverfarm von Mattel und Toytalk, anvertraut.

Und deshalb: Herzlichen Glückwunsch zum BigBrotherAward in der Kategorie Technik, "Hello Barbie", Mattel und Toytalk.

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Updates zu diesem Preisträger

Laudator.in

Linus Neumann am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2015.
Linus Neumann, Chaos Computer Club (CCC)

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

BigBrother Awards International (Logo)

BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.