Verbraucherschutz (2017)

Prudsys AG

Die Firma Prudsys AG erhält den BigBrotherAward 2017 in der Kategorie Verbraucherschutz, weil sie Software anbietet, die Preisdiskriminierung erlaubt. Diese Software legt einen Preis fest, je nachdem, was sie über den jeweiligen Kunden herausfinden kann. Damit zählt nicht mehr, was ein Produkt kostet oder wert ist. So kommt es, dass zwei Menschen unterschiedliche Preise für die gleiche Ware bezahlen müssen.
Laudator.in:
padeluun am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
padeluun, Digitalcourage
Das Logo von prudsys präsent in der Mitte. Rechts daneben ein Kassenbon im Hintergrund. Darunter der Text: „Jeder Kaffee, den Sie kaufen, kann gegen Sie verwendet werden!“

Der BigBrotherAward in der Kategorie Verbraucherschutz geht an Jens Scholz, Vorstand der Prudsys AG, Chemnitz, für Ihre Software zur Preisdiskriminierung, also für Beihilfe zur Preistreiberei und Verbreitung sozialen Unfriedens.

Wissenschaft – und das gilt auch für die Disziplinen Mathematik und Informatik – ist etwas Feines. Man forscht, gewinnt Erkenntnisse und setzt diese dann – zum Beispiel mittels Ausgründung aus der Universität – zum Besten für die Menschheit um.

Unser Preisträger, die Prudsys AG, ist eine Ausgründung der TU Chemnitz. Sie beschäftigt sich mit Data Mining. Sie veranstaltet schon so lange, wie wir die BigBrotherAwards veranstalten – seit dem Jahr 2000 – den „Data Mining Cup“, wo sich die Besten der Besten einen Wettbewerb liefern, um aus riesigen Kübeln voll mit Big Data das eine oder andere Daten-Nugget herauszufischen. Mit solchen Fähigkeiten könne man – so wird erzählt – unbekannte Krankheiten heilen und das Hungerproblem der Welt lösen.

Die Prudsys AG, so scheint es, hat an diesen guten Zielen wenig Interesse. Ihr Businessmodell bietet etwas anderes an: „Preisdiskriminierung“. Und das ist uns bei den BigBrotherAwards schon im Jahr 2000 begegnet, als wir die Firma Payback für ihre Kundenkarten mit einem unserer hübschen, aber unbegehrten Awards beehrten.

Die Prudsys AG entwickelt Algorithmen und Strategien, die es Händlern ermöglichen, für ein- und dasselbe Produkt, sei es Apfel, Milch oder Digitalkamera, online und offline den höchstmöglichen Preis zu verlangen, der eben noch möglich ist, ohne dass Sie als Kundin oder Kunde abspringen. Also ist nicht mehr der Wert einer Ware ausschlaggebend für die Preisgestaltung, sondern Sie sind es. Sie und ich. Die Händlerin oder der Händler müssen genug über uns wissen, um herauszufinden, welchen größtmöglichen Preis wir zu zahlen bereit sind. Im Marketing-Jargon heißt das: „Preisakzeptanzschwellen explorativ dynamisch austesten“1. Das klingt vielleicht absurd – ist aber so.

Nehmen wir an, Sie sind alleinerziehender Vater, müssen nach der Arbeit schnell in die Kita hasten, um Ihre Tochter abzuholen und husch husch, bevor Sie das Abendessen bereiten, noch einkaufen. Dann, denke ich, werden Sie nicht drei Läden besuchen, Preise vergleichen und günstiger einkaufen. Sie werden in das Geschäft laufen, das auf dem Weg oder kleinsten Umweg liegt und in den Korb werfen, was so auf dem Einkaufzettel steht. Wenn dieser Laden nicht „Dauertiefpreise statt Sonderangebote“ garantiert, dann werden Sie sicher mehr bezahlt haben, als jemand, der mehr Zeit hat.

„Ha!“, werden Sie jetzt vielleicht antworten. „Ich habe meine Kundenkarte. Da bekomme ich als treuer Kunde alles etwas günstiger.“ Doppel-HA! Antworte ich. Jetzt haben Sie erst recht verloren! Denn jetzt weiß der Händler, was Sie so einkaufen – und wann – und wie viel Sie im Durchschnitt pro Einkauf ausgeben – und ob Sie bar zahlen oder mit Karte. Er kann abschätzen, wie groß Ihr Haushalt ist, und kann Sie ganz gezielt mit Rabattcoupons dahin steuern, wohin er sie haben möchte. Weg von den Artikeln, an denen der Händler wenig verdient, hin zu den lukrativeren Artikeln. Er kann abschätzen, wie viele Kunden zukünftig wegbleiben, und ob es sich trotzdem lohnt, wenn er die 2-Kilo-Packung Spaghetti aus dem Angebot nimmt und statt dessen ausschließlich die 250-Gramm-Packungen – die leider etwas teurer sind – ins Regal legt.

Und das entscheidet nicht der freundliche Marktleiter, sondern die Zentrale. Die kann das nämlich viel besser entscheiden, als der Mensch vor Ort – denn die Zentrale bündelt die Daten, wertet sie aus, rechnet das Wetter, Saisonzeiten, Wochen- oder Tageszeiten dazu, oder ob die Konkurrenz gerade eine Promotionaktion fährt (kein Witz!) und schon ändert sich das elektronische Preisschild am Regal.

Denn die Zentrale hat guten Rat: Die Entscheidungssysteme sind mit der Software „Realtime Decision Engine“, kurz RDE, der Firma Prudsys verbunden. Die Selbstbeschreibung:

„Die Prudsys RDE ist als erstes Dynamic-Pricing-Tool in der Lage, die bestmögliche Preisfindung in Echtzeit vorzunehmen. Durch den Einsatz der Prudsys RDE werden tausende Produktpreise vollautomatisiert an das Kundenverhalten sowie sich ständig ändernde Markt- und Unternehmenssituationen angepasst.

Durch die Kombination von personalisierten Produktempfehlungen und individuellen Preisvorteilen werden Kunden durch Rabatte auf für sie relevante Produkte belohnt. Als Umsetzungsmedium für personalisiertes Pricing eignen sich besonders vollautomatisch erzeugte und personalisierte Coupons in Kunden-Newslettern, in Mailings und in mobilen Apps. Individuelle Rabatte können zudem im Zuge des Check-out-Couponings [Anmerkung des Laudators: das sind diese Zusätze, die Ihren Kassenzettel neuerdings immer so lang machen], via Kundenkarten oder auf Instore-Kiosksysteme ausgespielt werden.“

Was die Prudsys AG hier schreibt, schon eine Nummer härter, als dass die selben DVDs beim Marktkauf in Rahden (ein eher ärmerer Ort) grundsätzlich 30 % teurer sind als beim Marktkauf in Lübbecke, wo eher reichere Leute wohnen.

Und wenn das schon im Einzelhandel an der Straße funktioniert, wie gut funktioniert das erst in Online-Shops? Hier – meint einer der Prudsys-Chefs im Interview – kommen die Händler an der Preisdiskriminierung (die natürlich nicht Preisdiskriminierung heißt, sondern „Dynamic Pricing“ genannt wird) im Zeitalter von Amazon & Co gar nicht vorbei: Online-Shops würden ohne Dynamic Pricing bald schlicht nichts mehr verkaufen.

Was können wir tun? Hier sind ein paar praktische Tipps: Wenn Sie eine Reise buchen wollen, nehmen Sie lieber einen Windows-Rechner statt eines Macs. Sonst wird’s gleich teurer. Sie wollen vom Handy buchen? Ganz schlechte Idee – das wird meist richtig teuer, aber wenn, dann besser nicht vom iPhone aus, sondern lieber mit einem Smartphone mit dem Betriebssystem Android.

Das ist noch eine recht grobe Art der Differenzierung. Die Prudsys AG hat bessere Algorithmen, die viel feinziselierter Daten zusammenraffen, die von den meisten Menschen als „sind doch eh nicht wichtig“ fahrlässig abgegeben wurden. Jeder Kaffee, den Sie kaufen, kann gegen Sie verwendet werden! Wenn Sie im Web einkaufen, sehen Sie die Oberfläche, die ein Designer im Auftrag des Händlers programmiert hat. Ihr Nachbar sieht eine andere. Ihre Kollegin ebenfalls. Und das Wort „Oberfläche“ trifft es genau. Sie sehen nur eine winzig kleine Spitze Ihres Wahl- und Einkaufvorgangs. Unter der Oberfläche aber werden Daten geschaufelt, Berechnungen angestellt, geschachert und alles mit dem einen Ziel: Sie abzuzocken. Bei jedem Kauf im Netz müssen Sie sich vorstellen, dass unter der Oberfläche ein leises Kichern und ein zufriedenes Händereiben zu hören ist.

Das ist eine giergetriebene Welt. In dieser Welt existieren keine Menschen, keine Einzelprodukte, keine Zufriedenheit, kein Service – hier gibt es nur eins: Zahlen. Einsen und Nullen und am Ende manifestieren sich diese zu einem dicken fetten Plus an Euro und Dollar. Die Prudsys AG sagt, dass jeden Tag eine Milliarde Entscheidungen mit ihren Algorithmen getroffen werden – 8 Milliarden Dollar Handelsvolumen jährlich werden mit diesen Algorithmen erwirtschaftet. Selbst wenn Sie schon gelernt haben, dass man Begriffe wie „Premiumkunde“, „Rabatt“ und allein schon die Floskel „Sparen Sie …“ meiden sollte, wie der Teufel das Weihwasser: Es gibt quasi kein Entkommen. Selbst wenn Sie, wie die junge Frau, die ein Hotelzimmer in Brüssel buchen wollte, dieses 17mal stornieren, um am Ende 1,38 Euro weniger zu bezahlen. Die Welt wird nicht zu einem lustigen gigantischen orientalischen Basar. Sie als Kundin haben es nicht mehr mit einer Wochenmarkthändlerin zu tun, mit der Sie auf Augenhöhe um den Preis feilschen können. Hier feilscht nur einer, denn der Händler weiß alles über seine Kunden, die Kunden nichts über die Händler. Es besteht keine Augenhöhe, kein Frieden, sondern ein immerwährender Quell für das böse Gefühl, stets zu kurz zu kommen. Und das zu Recht.

Mit Data Mining, liebe Prudsys AG, mit Euren Fähigkeiten könnte man vielleicht unbekannte Krankheiten heilen und das Hungerproblem der Welt lösen. Ihr habt Euch leider für die dunkle Seite der Macht entschieden: Die Gier.

Ihr habt schon ein paar Awards bekommen: Den „Top 100“, den „Innovationspreis-IT“, den „Top Produkt Handel“, den „Chemnitzer Meilenstein“ … und jetzt auch noch den „Top BigBrotherAward 2017“. Herzlichen Glückwunsch, Jens Scholz von der Prudsys AG.

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padeluun am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
padeluun, Digitalcourage

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

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BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.