PR & Marketing (2018)

Konzept der „Smart City“

Das Konzept der „Smart City“ erhält den BigBrotherAward 2018 in der Kategorie „PR & Marketing“. Mit dem Werbebegriff „Smart City“ versuchen Technik-Firmen, der Kommunalpolitik die „Safe City“ zu verkaufen: eine mit Sensoren gepflasterte, total überwachte, ferngesteuerte und kommerzialisierte Stadt. „Smart Cities“ reduzieren Bürger.innen auf ihre Eigenschaft als Konsument.innen, machen Konsument.innen zu datenliefernden Objekten und unsere Demokratie zu einer privatisierten Dienstleistung.
Laudator.in:
Rena Tangens am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Rena Tangens, Digitalcourage

Der BigBrotherAward in der Kategorie „PR & Marketing“ geht an das Konzept der „Smart City“!

Das „Smart City“-Konzept propagiert die „Safe City“: die mit Sensoren gepflasterte, total überwachte, ferngesteuerte und kommerzialisierte Stadt. „Smart Cities“ reduzieren Bürger auf ihre Eigenschaft als Konsumenten, machen Konsumenten zu datenliefernden Objekten und unsere Demokratie zu einer privatisierten Dienstleistung.

Eine „Smart City“ ist die perfekte Verbindung des totalitären Überwachungsstaates aus George Orwells „1984“ und den normierten, nur scheinbar freien Konsumenten in Aldous Huxleys „Schöne Neue Welt“.

Der Begriff „Smart City“ ist eine schillernd-bunte Wundertüte – er verspricht allen das, was sie hören wollen: Innovation und modernes Stadtmarketing, effiziente Verwaltung und Bürgerbeteiligung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz, Sicherheit und Bequemlichkeit, für Autos grüne Welle und immer einen freier Parkplatz. Angefangen hat das 2008 mit IBM und ihrem Werbeslogan vom „Smarter Planet“, mit dem sie sagen wollten, dass sie unseren Planeten „schlauer“ machen können. Im Business tummeln sich inzwischen eine Menge weiterer Firmen, die ihre Dienstleistungen an Städte verkaufen wollen, zum Beispiel Siemens, Microsoft, Cisco, Huawei, Hitachi und Osram.

Doch wie sieht so eine „Smart City“ konkret aus?

Als große Errungenschaft für eine „Smart City“ wird zum Beispiel ein neuer Typ Straßenlaterne angepriesen. Die leuchtet nicht nur, sondern enthält auch gleich Videoüberwachung, Fußgänger-Erkennung, Kfz-Kennzeichenleser, Umweltsensoren, ein Mikrophon mit Schuss-Detektor und einen Location-Beacon zum Erfassen der Position. Stellen wir uns dies noch kombiniert mit WLAN vor, mit dem die Position von Smartphones ermittelt werden kann, Gesichtserkennung und Bewegungsanalyse, dann ist klar: Wenn diese Technik in unsere Stadt kommt, werden wir keinen Schritt mehr unbeobachtet tun.

Mit der heutigen Technologie (…) können vollkommen sichere Städte gestaltet werden. Die neue Gesichtserkennungstechnologie ermöglicht es Regierungen und privaten Unternehmen, alle Gesichter zu erkennen und zu archivieren, während dies zuvor auf eingetragene Straftäter beschränkt war,“ schwärmt der türkische Überwachungstechnik-Anbieter Ekin in einer Pressemeldung über die „Safe City“. Das Gesichtserkennungssystem ordnet den Merkmalen jedes Gesichts eine ID zu, mit der eine Person später wiedererkannt werden kann, auch wenn ihr Name nicht bekannt ist, und analysiert außerdem Alter, Geschlecht und Ethnie.

Während in Deutschland noch mit Begriffen wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Effizienz und Bequemlichkeit für die „Smart City“ geworben wird, sprechen die Technologiefirmen in China, Dubai und der Türkei offen aus, um was es geht: Lückenlose Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung.

In China boomt die Kombination von Videoüberwachung und Künstlicher Intelligenz. Der chinesische Marktführer für Gesichtserkennungssoftware, SenseTime, freut sich über „die hohe Nachfrage, die von Smart Cities und Überwachung angetrieben wird“1.

In Shenzhen, der südchinesischen Sonderwirtschaftszone in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hongkong, werden Menschen, die bei Rot über die Straße gehen, identifiziert und sogleich auf großen Monitoren mit Angabe ihrer Personalien an den Pranger gestellt, es wird ein Bußgeld berechnet und der Arbeitgeber benachrichtigt. Außerdem gibt es Punktabzug bei ihrem „Social Score“, der darüber entscheidet, ob sie eine Wohnung, einen Job, einen Studienplatz bekommen.

Die ganze Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas ist inzwischen ein Echtzeit-Labor für Massenüberwachung. Dort werden von der gesamten Bevölkerung zwischen 12 und 65 Jahren DNS und Blutgruppe getestet, Iris-Scans, Fingerabdrücke und 3D-Bilder erstellt – im Rahmen einer sogenannten „kostenlosen Gesundheitsuntersuchung“2. Dazu hat die chinesische Regierung 2017 in Xinjiang ein Überwachungssystem installiert, das die Polizei automatisch informiert, wenn ein Verdächtiger sich mehr als 300 Meter von seiner Wohnung oder seinem Arbeitsplatz entfernt3. Verdächtig sind nicht nur Kriminelle, sondern auch Angehörige der muslimischen Minderheit oder Personen, die sich für Menschenrechte einsetzen.

Sie meinen, China ist weit weg?

Nun, am Bahnhof Südkreuz in Berlin testet die Bundespolizei seit August 2017 intelligente Videoüberwachung mit Gesichtserkennung. Das ist der Anfang. Denn völlig egal, wie der „Test“ ausgeht – Ex-Innenminister Thomas de Mazière hat schon zu Beginn dieses Freilandversuchs betont, dass Gesichtserkennung bundesweit an möglichst vielen öffentlichen Orten eingeführt werden soll. Und der neue Innenminister Horst Seehofer hat längst bestätigt, dass er das auch so sieht. Mehr noch: Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag bereits eine Weiterentwicklung zu einer „intelligenten“ Videoüberwachung vorgemerkt. Geschmackvolle Straßenlaternen mit Überwachungskameras und Sensoren können Sie übrigens auch bereits in „Arcadia“, einer Gated Community in Potsdam, besichtigen.

Oder schauen wir mal in unser direktes Nachbarland, nach Holland, wo die „Smart Cities“ wie Tulpen aus dem Boden sprießen: Die Stadt Enschede will wissen, wer sich wie oft wo lang bewegt und trackt dafür alle Menschen, die ein Smartphone mit aktiviertem WLAN bei sich tragen, mit Hilfe der eindeutigen MAC-Adresse. Die Traffic-App von Enschede belohnt Menschen für gutes Verhalten – zu Fuß gehen, Fahrrad fahren, öffentliche Verkehrsmittel nutzen – ironischerweise mit einem Tag freiem Parken in der Stadt. Was man erst im Kleingedruckten der App findet: Die gesammelten persönlichen Bewegungsprofile gehen an eine Firma namens Mobidot.

In Eindhoven ist die Partymeile Stratumseind zu einem Überwachungslabor geworden: Dort gibt es Straßenlaternen mit WLAN-Tracking, Kameras und Mikrophonen, mit denen aggressives Verhalten erkannt werden soll. Ab Frühjahr 2018 soll bei Bedarf Orangenduft versprüht werden, um die Menschen zu beruhigen.

Utrecht schließlich überwacht die Jugendlichen der Stadt, wenn sie sich in den Straßen bewegen: Wie viele sind es? Welche Altersgruppe? Kennen sie sich? Wie gehen sie miteinander um? Und machen sie Ärger oder nicht? Seit 2014 hat Utrecht 80 „smarte“ Projekte in der Stadt und den Überblick verloren, was wo läuft, denn das meiste davon liegt in den Händen von Firmen4.

„Smart City“-Firmen sammeln Daten und weigern sich, darüber Auskunft zu geben. Sie geben oft auch den Städten selbst keinen Zugriff auf die Daten – denn die sind Firmengeheimnis! Der Eindruck drängt sich auf, dass sich die Städte von den Firmen über den Tisch ziehen lassen. Doch das können weder Bürgerinnen und Bürger noch Presse überprüfen, denn die Verträge, die die Städte mit den „Smart City“-Dienstleistern abschließen, dürfen zumeist nicht eingesehen werden – aus Wettbewerbsgründen.

Ja, „smarte“ Technik ist teuer. Wo soll das Geld herkommen? Städte lassen sich von günstigen Einstiegsangeboten locken und von den Landes- und EU-Fördermitteln.

Städte werden wieder einmal verlockt, ihre Infrastruktur in kommerzielle Hände abzugeben – wie in den 90er-Jahren beim Cross-Border-Leasing5. Das ist weder clever noch smart, sondern kurzsichtig und gefährlich.

Und es droht mehr als das billige Verscherbeln städtischer Infrastruktur: Städte verkaufen hier leichtfertig etwas, was ihnen gar nicht gehört, nämlich die Daten der Bürgerinnen und Bürger – und damit deren Privatsphäre, deren Autonomie und deren Freiheit.

Die Bürger werden nicht gefragt. Denn die Tech-Firmen wollen doch nur spielen – das kann man denen doch nicht übel nehmen! Bei innovativen Tech-Projekten müssen alle anderen Interessen schweigen: „Digital first, Bedenken second“. Das amerikanische Original heißt „Permissionless Innovation“6, also „Innovation ohne Erlaubnis“. Das bedeutet: Das Vorsorgeprinzip wird außer Kraft gesetzt – wer behauptet, innovativ zu sein, muss sich nicht an lästige Regeln halten.

Den Firmen ist klar: Nicht der Service, sondern die Daten der Bürgerinnen und Bürger sind die eigentliche Cash Cow. Wer wüsste das besser als Alphabet, Googles Mutterfirma. Die hat sich gerade im kanadischen Toronto eingekauft, um das dortige Waterfront Viertel als „Smart City“ zu entwickeln. Name des Projektes: Sidewalk Labs, also „Bürgersteig-Labor“. Google hat sich wohl nicht träumen lassen, wie viel Kritik und konkrete Nachfragen zu Datenschutz aus der kanadischen Bevölkerung kommen würden7. Sidewalk Labs hat mittlerweile die ehemalige Datenschutzbeauftragte von Kanada, Ann Cavoukian, eingestellt. Smart Move. Ann Cavoukian hat 2009 das Konzept der „Privacy by Design“ entwickelt (also so etwas wie „eingebaute Privatsphäre“). „Smart Cities“ aber sind eher „Surveillance by Design“ (eingebaute Überwachung). Wir sind ehrlich gespannt, wie sie das Eine in das Andere bringen will, ohne das Geschäftsmodell von Google komplett umzukrempeln.

Doch wir wollen ja gar nicht so negativ sein. Denn eigentlich mögen wir Technik. Wir nehmen jetzt einfach mal an, dass die Hack-Sicherheit der vernetzten Systeme kein Problem wäre. Dass der Staat mit der Komplett-Überwachung ausschließlich unser Wohl im Auge hätte. Und dass die Tech-Firmen nur Gutes mit unseren Daten tun würden. Und jetzt stellen wir uns diese freundliche „Smart City“ vor, deren Sensoren uns ständig begleiten, die uns sagen, was wir als Nächstes tun sollen und deren Algorithmen aus unserem Profil in Echtzeit unsere Wünsche errechnen, bevor wir sie selber kennen. Immer grüne Welle, immer sofort einen Parkplatz finden und stets die aktuellen Stickoxid-Werte der Umgebung auf meinem Handy – klingt das nicht verlockend?

Im Märchen vom Schlaraffenland fliegen den Menschen die gebratenen Gänse essfertig in den Mund. Aber: Das Schlaraffenland ist nicht das Paradies. Es macht satt, aber nicht glücklich. Bequemlichkeit macht träge und dumm. Wir brauchen das Beinahe-Stolpern, um unseren Gleichgewichtssinn zu trainieren. Wir brauchen die Anstrengung, um uns über das aus eigener Kraft Erreichte zu freuen. Wir brauchen den Zufall, das Andere, das Unbekannte, die Überraschung, die Herausforderung, um zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Wir müssen uns als Menschen frei entscheiden können und es muss uns möglich sein, Fehler zu machen. Wie anders sollten wir unseren „Moral-Muskel“ trainieren?

Auch deshalb müssen wir uns wehren gegen die Bevormundung durch Technik und Technik-Paternalismus.

Eine Stadt ist nicht „smart“ – klug sind die Menschen, die darin leben.

Wir haben die Wahl: Wollen wir in einer post-demokratischen Konsumwelt leben, in der andere für uns entscheiden und die einzig mögliche Antwort „ok“ ist8? Oder wählen wir die Freiheit?

Albus Dumbledore sagt in Harry Potter Band 4:

„Es wird die Zeit kommen, da ihr euch entscheiden müsst zwischen dem, was richtig ist und dem, was bequem ist.“

Die Zeit ist jetzt.

Herzlichen Glückwunsch zum BigBrotherAward, „Smart City“!

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Updates zu diesem Preisträger

Laudator.in

Rena Tangens am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Rena Tangens, Digitalcourage

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

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BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.