Soma Analytics
Der BigBrotherAward 2018 in der Kategorie „Arbeitswelt“ geht an die Soma Analytics UG aus Bruckmühl bei München, vertreten durch ihren Geschäftsführer Johann Huber, für ihre Bemühungen, die Gesundheits-App „Kelaa“ bei Beschäftigten und das zugehörige Kelaa Dashboard in Personalabteilungen von Firmen zu platzieren. Gesundheitsdaten von Beschäftigten in die Hände von Arbeitgebern zu legen, ist ein Tabubruch. Aber der Reihe nach:
Die Kelaa-App überwacht, wie viele andere Gesundheitsapps, die Vital-Daten der Nutzerinnen und Nutzer.
Vor Gesundheitsapps warnen wir seit Jahren. Soma Analytics führt unsere Kritik aber in eine neue Dimension. Die von dieser Firma entwickelte Kelaa App kann zwar jeder auf sein Mobiltelefon laden. Sie funktioniert aber nur, wenn der Arbeitgeber über die Software „Kelaa Dashboard“ verfügt. Mit dieser Software können sich die Arbeitgeber die aktuellen Stress- und Vitalwerte ihrer Beschäftigten in (Zitat) „aggregierter und anonymisierter Form“ anzeigen lassen. Die entsprechenden Auswertungen stellt Soma Analytics bereit.
Dieses Dreieck dient „natürlich“ nur der besseren Gesundheit: Beschäftigte, die die Kelaa App auf ihrem Smartphone installiert haben, bekommen z. B. Hinweise für Entspannungstechniken, wenn die App Anzeichen für Stress wahrnimmt. Und Arbeitgeber erfahren, wie gestresst ihre Mitarbeiter sind. Ob sie das nutzen, um Arbeitsbedingungen zu verbessern, oder um Mitarbeiter.innen mit „schwachen Nerven“ einfach zu entlassen, darüber kann nur spekuliert werden.
Die Funktionsweise
Erfasst werden die sensitiven personenbezogenen Daten über das Smartphone, das zentrales Arbeitsmittel und Tagesbegleitung ist. Von vielen Menschen wird dieses Gerät von morgens zum Aufwecken bis abends zum Einschlafen verwendet. Wer die dort vorhandenen Gesundheitsdaten oder „Stressinformationen“ auslesen und auswerten kann, der weiß mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr über den psychischen und physischen Zustand des Besitzers als dieser selbst.
Aber das reicht Soma Analytics nicht: Die Firma weitet den Sammelzeitraum für sensitive Daten durch die Aufforderung aus, das Gerät zur Erfassung von Bewegungen während des Schlafs direkt mit ins Bett zu nehmen. Damit kann das Unternehmen nicht nur Erkenntnisse zum Schlafverhalten sammeln, sondern nebenbei auch noch zum Beischlafverhalten. Ob Partner von Beschäftigten dies mögen und erlauben, mag an dieser Stelle dahingestellt sein.
Weiterhin werden Gefühlsregungen der Stimme beim Telefonieren ausgewertet. Ergänzt wird das Ganze durch Antworten auf Fragen, die Beschäftigten gestellt werden (“Self-assessment-Fragebogen”).
In Veröffentlichungen zur Kelaa-App ist davon die Rede, dass die Soma-Software auch das Schreib- bzw. Tippverhalten sowie die Nutzung des Smartphones selbst auswertet. Dabei wird etwa die Häufigkeit des Griffs zum Gerät durch Beschäftigte ebenso erfasst wie die Dauer des Blicks auf den Bildschirm.
Ob darüber hinaus auch andere Datenquellen genutzt werden wie etwa der Schrittzähler in einer anderen Gesundheits-App oder ob Gespräche auch außerhalb von Telefonaten abgehört und ausgewertet werden, ist nicht bekannt. Aufgrund der rechtlichen Hinweise auf der Website wären auch solche Datensammlungen grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Und uns würde es eher überraschen, wenn Soma dieses Informationspotential nicht berücksichtigen würde.
Der Effekt für Arbeitnehmer.innen …
Dafür verspricht Soma Analytics den Beschäftigten viel. Kelaa wird wie eine „gesundheitsfördernde Wunderwaffe“ angepriesen: „Wenn ihr die Kelaa-Apps einsetzt, werdet ihr leistungsfähiger als je zuvor und macht dabei euren Arbeitgeber auch noch durch eine erhöhte Produktivität glücklich!“ Da fehlt eigentlich nur noch das Versprechen von besserem Haarwuchs.
Nicht erwähnt werden von Soma Analytics mögliche Risiken und Nebenwirkungen für die Beschäftigten, weil sie – zu Recht – das Gefühl haben, dass ihr Arbeitgeber sie permanent beobachtet, sogar zu Hause und im Schlaf. Nach dem Motto: Feierabend ist ein völlig veraltetes Konzept.
… und Arbeitgeber.innen
Soma verspricht auch den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern viel: Der Einsatz des Kelaa Dashboards soll ihre Entscheidungsfindung stärken. Sie sollen mit den Soma-Daten die Bereiche identifizieren, in denen Verbesserungsbedarf besteht, um mit der Gesundheit der Beschäftigten auch deren Produktivität zu verbessern.
Wir sagen: Soma Analytics versucht, Arbeitgebern die Rundumkontrolle des physischen und psychischen Befindens ihrer Beschäftigten zu ermöglichen. Dass dieses Angebot Arbeitgeber begeistert und auf neue Ideen bringt, zeigen erste Erfahrungen aus Großbritannien, wo Kelaa in einer großen Anwaltskanzlei mit über tausend Mitarbeitern eingesetzt wird. Dort hat der für die Nutzung der Kelaa-App zuständige Mitarbeiter festgestellt: „Die App zeigt uns die Potentiale auf, die wir realisieren können, wenn wir mit unseren Mitarbeitern zusammen an ihrem Schlaf arbeiten“. Derartiges möglich zu machen, ist ohne Einschränkung auszeichnungswürdig.
Soma Analytics verwendet nach eigenen Angaben Big Data und anspruchsvolle Algorithmen.
Außerdem führt Soma Analytics an, dass sie durch weltweit führende Forscher aus den Bereichen Psychologie, medizinische Schlafforschung und Informatik unterstützt wird. Die Namen dieser renommierten Forscher werden allerdings diskret verschwiegen. Und natürlich wird auch der Aufbau des für die Auswertungen verwendeten Algorithmus nicht erläutert.
Firmengeheimnisse
Vielleicht sind das Firmengeheimnisse, genau wie die Art der Aggregierung und Anonymisierung der von den Smartphones der Beschäftigten gesammelten Daten für die Ausgabe im Dashboard. Wie anonymisiert wird und wie sicher das hierfür verwendete Verfahren ist, darüber gibt es auf der Webseite keine Informationen. Wir werden aber misstrauisch, wenn Soma Analytics gleichzeitig die Möglichkeit anpreist, besonders stressige Abteilungen in ihren Betrieben zu identifizieren. Daraus lässt sich folgern, dass Informationen sich auf kleinere Einheiten, Abteilungen oder Personengruppen einer Firma beziehen lassen. Und dann ist unter Umständen der Weg zur Identifikation eines bestimmten Mitarbeiters oder einer bestimmten Mitarbeiterin nicht mehr weit.
Eindeutige datenschutzrechtliche Grundlagen für die Auswertungen sind nicht erkennbar. Soma Analytics räumt sich durch die Rechtshinweise auf seiner Website zwar weitgehende Verarbeitungsbefugnisse ein. Im deutschen Rechtsraum wäre aber erforderlich, dass die Beschäftigten dieser Verarbeitung auch zustimmen. Dies fordert das (gerade) noch geltende Bundesdatenschutzgesetz. Auch aus dem Disclaimer zur Kelaa-App folgt keine datenschutzrechtlich wirksame Einwilligung von Beschäftigten in die Verarbeitung sensitiver personenbezogener Daten. Aber auch mit Blick auf die ab dem 25. Mai 2018 anwendbare Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und die hierin enthaltenen Wirksamkeitsanforderungen einer Einwilligung ist die Situation nicht anders zu bewerten. Im Gegenteil: sowohl das alte wie auch das neue Datenschutzrecht schützen die Verarbeitung von Gesundheitsdaten ganz besonders. Und noch einmal höher ist dieser Schutz bezogen auf Beschäftigungsverhältnisse.
Verbreitung
Wir wissen nicht, wie erfolgreich das Geschäftsmodell von Soma Analytics ist. Berichte über die praktischen Erfahrungen beziehen sich auf Beispiele aus Großbritannien und Italien, obwohl der Hauptsitz der Firma in Bruckmühl bei München ist. Über die Verbreitung bei deutschen Arbeitgebern ist uns nichts bekannt – darum geht es uns aber auch nicht.
Unabhängig vom Standort, unabhängig von der Marktmacht, unabhängig von der Größe der Firma ist es der Gedanke hinter der Kelaa App, der den Tabubruch darstellt. Warum entwickeln Menschen solche Software? Weil sie kein Gespür für moralische Grenzen haben. Weil „Digital first, Bedenken second“ als Werbeslogan der FDP im vergangenen Herbst genutzt wurde und in gewissen Kreisen gesellschaftsfähig ist. Weil Datenschutz nicht als deutsche Tugend und als deutscher Exportschlager angesehen wird, sondern als Behinderung von Geschäftsmodellen. Und weil viele kleine Start-Ups davon träumen, von einem Weltkonzern aufgekauft zu werden, wenn sie aus Big Data so viel wie möglich herausholen können. Da werden laufend rote Linien überschritten – und das muss aufhören!
Denn die Debatte um Kelaa trifft zusammen mit der um den Einsatz von Anwendungen aus dem Bereich „Predictive Analytics“. Diese zielen ebenfalls darauf ab, aus der Stimme oder aus dem sonstigen Umgang von Beschäftigten mit technischen Anwendungen Hinweise auf sich anbahnende Probleme oder auf das Vorliegen eines arbeitsrechtlichen Fehlverhaltens abzuleiten. Werden derartige Konzepte der permanenten und verdeckten automatisierten Ausforschung von Beschäftigten Praxis, schafft dies Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten für Arbeitgeber, von denen Big Brother bisher nur träumen konnte.
Wenn Sie als Beschäftigte meinen, dass es Ihrer Gesundheit förderlich ist, auf Ihrem Smartphone eine App zur Stresserkennung und Stressreduzierung zu installieren, dann steht es Ihnen natürlich frei, dies zu tun. Aber achten Sie darauf, dass es keine Software ist, die ihrem Arbeitgeber gehört. Wer diese simple Grundregel beachtet, der muss auch keinen Ausschlag des „Stress-O-Meters“ in seiner App befürchten, wenn der Arbeitgeber wieder einmal davon redet, dass er olympiareife Mannschaften braucht und dass deshalb die nicht so leistungsfähigen Beschäftigten das Boot verlassen müssen.
In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch zum BigBrotherAward Soma, Analytics UG.
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