8.12.2020 – Update zum BBA 2008

Die Rolle der Telekom bei der Vorratsdatenspeicherung

Die Deutsche Telekom AG nutzte Telefonverbindungsdaten zur Bespitzelung von Telekom Aufsichtsräten und Journalist.innen. Ausgerechnet ein Konzern, der Gesetze im großen Stil ignorierte, sollte die Hüterin vertraulicher Daten werden. Zum Glück wurde die Vorratsdatenspeicherung in den letzten 14 Jahren von Gerichten mehrfach für illegal erklärt – zuletzt im Oktober 2020 vom Europäischen Gerichtshof.

„Der BigBrotherAward 2008 in der Kategorie ‚Arbeitswelt und Kommunikation‘ ging an die Deutsche Telekom AG für die illegale Nutzung von Telefonverbindungsdaten zur Bespitzelung von Telekom-Aufsichtsräten und Journalisten. 

Die Deutsche Telekom AG hat sich vorsätzlich gleich über mehrere Gesetze hinweggesetzt und damit dem Vertrauen in das Telekommunikationsgeheimnis, die Pressefreiheit und den Datenschutz einen empfindlichen und möglicherweise bleibenden Schaden zugefügt. 
Die Rechtsverletzungen lassen sich nüchtern aufzählen: Der Konzern hat sich intern an Daten vergriffen, deren Verwendung zu Ermittlungszwecken ansonsten nur mit richterlichem Beschluss möglich ist. Mehrere Hunderttausend Telefon- und Mobilfunkdatensätze von eigenen Aufsichtsräten und Journalisten wurden illegal ausgewertet, um herauszufinden, auf welchem Wege vertrauliche Informationen an Medien gelangt waren“ (Laudatio).

Das allein ist Grund genug für (mindestens) einen BigBrotherAward. All dies wird allerdings noch gravierender im Kontext der Vorratsdatenspeicherung, die 2006 erstmals eingeführt wurde. Diese thematisieren wir in unserer Laudatio. Per Gesetz war die Telekom seit Anfang 2008 verpflichtet, alle Verbindungsdaten für sechs Monate zu speichern und unter bestimmten Voraussetzungen an Sicherheitsbehörden herauszugeben. Ausgerechnet die Hüterin dieser vertraulichen Daten hatte stattdessen über Jahre und im großen Stil Gesetze ignoriert und ausgehebelt.

Erfolge:

Erfreulicherweise gab es zum Thema Vorratsdatenspeicherung, trotz Sicherheitstheater von Regierungen, einige hart erkämpfte Erfolge für den Datenschutz. So erklärten Gerichte sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene die Vorratsdatenspeicherung für illegal (mehr dazu unten). Dies wurde jüngst am 6.10.2020 wieder vom EU-Gerichtshof bestätigt.

Hierbei ist es jedoch wichtig ins Detail zu blicken: Während die anlasslose Massenspeicherung für illegal erklärt wurde, ist die Vorratsdatenspeicherung unter bestimmten Bedingungen erlaubt worden. Es liegt nun an uns dafür zu sorgen, dass Ausnahmeregelungen auch nur als solche genutzt und nicht als Richtlinien fehlinterpretiert werden. Das Urteil hat zumindest klar gemacht: Das aktuelle deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist EU-rechtswidrig. (Mehr Informationen zum aktuellen EU-Urteil in unserem Blogartikel und offenen Brief an die EU-Kommission)

Nein – Doch – Oh: Das Hin und Her der Vorratsdatenspeicherung von 2006 bis heute

2006 wurde die Vorratsdatenspeicherung per EU-Richtlinie für alle EU-Mitgliedsstaaten verpflichtend und 2007 von der großen Koalition in Deutschland eingeführt. 2010 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die deutschen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig sind. Telekommunikationsanbieter wie die Telekom mussten alle gespeicherten Daten umgehend löschen. 2014 erklärte auch der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig, da sie mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar sei. Ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde in Deutschland 2015 verabschiedet. Verfassungsbeschwerden, auch unsererseits, folgten umgehend. 2016 bekräftigte der Europäische Gerichtshof, dass anlasslose Vorratsdatenspeicherung illegal ist. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalens beschloss 2017, dass das deutsche Gesetz gegen EU-Recht verstößt. Daraufhin wurde durch die Bundesnetzagentur die Vorratsdatenspeicherung faktisch ausgesetzt. Im Oktober 2020 wurde das oben genannte EU-Urteil ausgesprochen, in dem eine anlasslose Massenspeicherung für illegal erklärt wurde, aber Ausnahmeregelungen neue (gefährliche) Ermessensspielräume eröffnen. Jüngst veröffentlichte auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags ein Gutachten, das die Rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung verneint.

Zu Preisträger
Jahr

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

BigBrother Awards International (Logo)

BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.