Landesregierung Niedersachsen
Der BigBrotherAward 2005 in der Kategorie "Behörden und Verwaltung" geht an den Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Herrn Christian Wulff für die Zerschlagung der Datenschutzaufsicht in Niedersachsen.
Langsam, aber stetig geben immer mehr Landesregierungen die Datenschutzaufsicht über die Wirtschaft ab und legen sie in die Hände der unabhängigen Landesdatenschutzbeauftragten. Die Niedersächsische Landeregierung allerdings hat entschieden, die Datenschutzaufsicht über die Wirtschaft zu Beginn des kommenden Jahres vom Landesdatenschutzbeauftragten an das Ministerium für Inneres und Sport zu übergeben.
Bislang war in Niedersachsen die Datenschutzaufsicht für die Wirtschaft zweigeteilt: Das Innenministerium hatte die Rechtsaufsicht und der Landesdatenschutzbeauftragte die Fachaufsicht. Er verkörperte damit die eigentlich zuständige Aufsichtsbehörde. Diese Zweiteilung war spätestens seit der Verabschiedung der EU-Datenschutzrichtlinie vom Oktober 1995 nicht mehr zeitgemäß. Dort wird gefordert, dass die Datenschutzaufsicht - nicht nur für die öffentliche Verwaltung, sondern auch im Bereich der Wirtschaft - völlig unabhängig sein muss.
Und dies aus gutem Grund. Nicht selten lassen Entscheidungen von bei Regierungspräsidien und Innenministerien angesiedelten Datenschutzaufsichtsbehörden in verschiedenen Bundesländern vermuten, dass auch die Interessen der Sicherheitsbehörden - also z.B. Polizei oder Staatsanwaltschaft - bei der datenschutzrechtlichen Beurteilung mitentscheidend waren. Beispielhaft seien hier nur zwei Entscheidungen genannt: Erstens die des Regierungspräsidiums Darmstadt zur Erlaubnis der Verbindungsdatenspeicherung bei Internet-Flatrates für bis zu sechs Monate, die - wie auch das zuständige Amtsgericht inzwischen feststellte - gesetzwidrig ist, und zweitens die Entscheidung des Innenministeriums von Baden-Württemberg zur Zulässigkeit der Einführung eines Verfahrens, bei dem mit dem Fingerabdruck bezahlt wird. Hierzu müssen natürlich die digitalen Gegenstücke der Fingerabdrücke in der Kneipe oder auch in den Zentralen der Einzelhandelsketten wie z.B. bei EDEKA gespeichert werden. In beiden Fällen haben die Ermittler ein quasi "natürliches" Interesse an diesen Datenbeständen.
Eine Änderung der Datenschutzaufsicht in Niedersachsen war also 10 Jahre nach Erlass der EU-Datenschutzrichtlinie höchste Zeit. Nur hat Niedersachsen den Schritt in die falsche Richtung gemacht. Statt also auch die Rechtsaufsicht auf den unabhängigen Landesdatenschutzbeauftragten zu übertragen, wie dies bereits in einigen anderen Bundesländern seit Jahren erfolgreich praktiziert wird, richtet die niedersächsische Landesregierung beim Ministerium für Inneres und Sport eine neue Abteilung ein. Der Landesdatenschutzbeauftragte soll künftig nur noch für die Landes- und Kommunalverwaltungen in Niedersachsen zuständig sein, die Wirtschaft wird vom Innenministerium kontrolliert. Gleichzeitig spricht die Regierung von "Synergie-Effekten". Diese wären aber sicherlich größer, wenn man alle Kompetenzen künftig in eine Hand, nämlich die des Landesdatenschutzbeauftragten, gegeben hätte.
Pikanterweise hat die EU-Kommission im Juli 2005 gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Missachtung der EU-Datenschutzrichtlinie eingeleitet, da die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlichen Formen von Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht über den Datenschutz in der Wirtschaft nicht die Forderung nach "völliger Unabhängigkeit" der Aufsichtsbehörden erfüllen. Anstatt die Datenschutzbehörden unabhängiger zu organisieren, macht die Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung die Datenschutzaufsicht jetzt erst Recht abhängig von den Interessen der Landesregierung.
Es ist doch Augenwischerei, wenn die Niedersächsische Staatskanzlei in einer Pressemitteilung erklärt, dass mit dieser Aufgabenverlagerung auch "Reibungsverluste" im "gesetzesvorbereitenden Bereich" vermieden würden. Es ist doch offensichtlich, dass die Regierung damit den Landesdatenschutzbeauftragten für seine kritischen Stellungnahmen zu manchem Gesetzesentwurf abstraft! Die Stellungnahme zur - inzwischen für verfassungswidrig erklärten - präventiven Telekommunikationsüberwachung, in der der niedersächsische Datenschutzbeauftragte einer Gesetzesbegründung widersprach, ist hierfür nur ein Beispiel1.
Hier scheint die niedersächsische Landesregierung dem scheidenden Bundesinnenminister nacheifern zu wollen. Auch diesem gefallen die Stellungnahmen "seines" Datenschutzbeauftragten nicht und so forderte er vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz mehr Zurückhaltung und warf ihm Kompetenzüberschreitung vor. Dabei gehört es zu den Aufgaben des Bundesdatenschutzbeauftragten, sich auch zu Regierungsvorhaben kritisch zu äußern. Und es kommt nicht darauf an, ob diese Stellungnahmen der Regierung und insbesondere dem Bundesinnenminister passen oder nicht.
Zynisch ist in der Presseerklärung der Niedersächsischen Staatskanzlei zur Aufgabenverlagerung auch ein Hinweis auf Baden-Württemberg und Bayern, in denen die Datenschutzaufsicht für die Wirtschaft im Innenministerium bzw. bei einer Bezirksregierung angesiedelt ist. Denn auch dort lässt die Datenschutzaufsicht zu wünschen übrig. Aufgrund der sehr geringen personellen Ressourcen der dortigen Aufsichtsbehörden ist es kein Wunder, dass in diesen beiden Bundesländern die Wirtschaft und auch die betroffenen Bürgerinnen und Bürger von der Datenschutzaufsicht nahezu nichts merken. Inzwischen wird daher auch dort über eine Herauslösung der Datenschutzaufsicht aus dem Bereich der Innenministerien zumindest nachgedacht.
Der Preis geht an den Ministerpräsidenten Christian Wulff als Stellvertreter für die Gremien der niedersächsischen Landesregierung, die die Zerschlagung der Datenschutzbehörde beschlossen haben. Mildernde Umstände kommen für Herrn Wulff nicht in Betracht, da das Land Niedersachsen nicht nur dem Niedersächsischen Landesdatenschutzbeauftragten die Datenschutzaufsicht über die Wirtschaft entzieht. Es hat vielmehr auch gemeinsam mit Hessen einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, der - wenn er vom Bundestag angenommen wird - dazu führen würde, dass bedeutend weniger Unternehmen einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellen müssten und damit die innerbetriebliche Datenschutzkontrolle durch die betrieblichen Datenschutzbeauftragten deutlich geschwächt würde. Eine abhängige staatliche Datenschutz über die Wirtschaft, wie sie in Niedersachsen eingeführt wird, gepaart mit einer Schwächung der innerbetrieblichen Datenschutzkontrolle lässt für den Kunden- und Arbeitnehmerdatenschutz leider nichts Gutes erwarten!
Herzlichen Glückwunsch, Christian Wulff, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen.