Deutsche Bahn AG

Der BigBrotherAward in der Kategorie „Mobilität“ geht an die Deutsche Bahn, die alles daransetzt, unüberwachtes Bahnfahren unmöglich zu machen. Der Digitalzwang nimmt weiter zu: Immer mehr Fahrkarten bietet die Bahn nur noch digital und personalisiert an, die BahnCard wurde als physische Karte abgeschafft. Fahrgäste sollen zur Nutzung der App „DB Navigator“ gedrängt werden, die Tracker einsetzt, die man nicht ablehnen kann.
Laudator.in:
padeluun am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
padeluun, Digitalcourage
Das Logo der „Deutschen Bahn“ im Mosaik-Stil.

Der BigBrotherAward 2024 in der Kategorie „Mobilität“ geht an

die Deutsche Bahn AG.

Die Deutsche Bahn AG wird ausgezeichnet, weil sie Digitalisierung dafür einsetzt, anonymes Reisen nach und nach komplett unmöglich zu machen.

Kaum ein Unternehmen hat in den vergangenen Jahren seine Kundinnen und Kunden so massiv gegen sich aufgebracht wie die Deutsche Bahn. Es geht hier nicht um Verspätungen, geschlossene Bahn-Bistros oder sonstige scheinbare Lässlichkeiten. Es geht um Digitalzwang, es geht um die Missachtung von Datenschutzprinzipien wie Datensparsamkeit – und für viele Reisende geht es um existentielle Dinge:

1. Die Bahncard 50 und 25, die seit Mitte 2024 nicht mehr als Karte, sondern nur noch zum Vorzeigen auf dem Smartphone herausgegeben wird.

2. Sparpreis- und Supersparpreis-Tickets werden mittlerweile nicht mehr am Automaten verkauft. Beim Kauf im Reisezentrum muss jetzt zwingend eine Mobilfunknummer oder eine Mailadresse angegeben werden.

3. Das Deutschland-Ticket wird von der DB ausschließlich als elektronisches Ticket auf dem Smartphone angeboten.

4. Dazu kommt, dass das Fahrkarten-Kaufen am Automaten immer mehr erschwert wird: Automaten werden abgebaut oder umgerüstet und akzeptieren dann kein Bargeld mehr. Die Automaten, die Bargeld nehmen, ziert oft ein Schild „defekt“.

Bei Betrachtung jeder einzelnen Maßnahme könnten wir immer noch denken, dass da die Folgen nicht bedacht wurden, dass es einfach schlecht gemachte Digitalisierung ist. Aber wenn wir einen Schritt zurücktreten, erkennen wir ein Muster – Steinchen für Steinchen eines Überwachungs-Mosaiks. Die Deutsche Bahn setzt offenbar alles daran, anonymes Bahnreisen unmöglich zu machen

Schauen wir da einmal genauer hin:

Der erste Stein: Die Bahncard 50 und 25

Die Bahncards 50 und 25 gibt’s nicht mehr als Karte. Die Begründung ist, dass jetzt sowieso alles digital wird – da kann man halt nichts machen. Ihr werdet alle digitalisiert – Widerstand ist zwecklos. Besonders scheinheilig aber ist die Behauptung der Bahn-PR, dass die DB mit dieser Maßnahme 30 Tonnen Plastikmüll pro Jahr einsparen und damit besonders umweltbewusst handeln würde. Das müssen wir jetzt gerade mal auseinanderpflücken: Nein, es ist nicht umweltfreundlich, Reisende zur Anschaffung eines modernen Smartphones zu nötigen. Smartphone-Nutzung ist keineswegs per se nachhaltig, denn die Elektronikproduktion und der Betrieb der Rechenzentren verbraucht viele Ressourcen.

Im Übrigen bräuchte es auch gar kein Plastik für eine Bahncard. Es gibt längst andere innovative Lösungen. Die GLS-Bank macht es vor: Sie produziert ihre Bankkarte auf Holzbasis. Damit hat die GLS sogar auf beleuchteten Werbetafeln in ICEs geworben. Und beim Bestellen könnte die Bahn einfach abfragen, ob man als Kunde auf eine physische Karte verzichten möchte.

Aber seien wir ehrlich – es geht der Bahn überhaupt nicht um Plastik. Es geht um den Zwang zur App – und ums Datensammeln.

Den Aufschrei aus der Bevölkerung, der auf die Ankündigung folgte,, die Bahncard ab Mitte 2024 nur noch elektronisch auf Smartphone auszugeben, dürfte man bis in die Vorstandsetage gehört haben. Es gab massenweise Protestschreiben, E-Mails und Bahncard-Kündigungen, die Digitalcourage in Kopie erreicht haben.

Wir haben erschütternde Briefe bekommen. „Ich kann meine Enkel nicht mehr so oft besuchen, weil das ohne Bahncard 50 zu teuer ist und mit der Bahncard auf dem Smartphone komme ich nicht zurecht.“

Wegen der massenhaften Proteste ruderte die DB ein bisschen zurück und gestattet nun, dass die Bahncard beim Bestellen im Reisezentrum als PDF-Ersatzdokument ausgedruckt wird. Das ist aber nur eine vorübergehende Maßnahme, um den Protest gegen den Digitalzwang abzufedern. Die DB schreibt das auch in diversen Antworten an Bahncard-Kund.innen: Das ist nur eine Übergangslösung. Ihr werdet alle digitalisiert.

Ein weiterer Stein: Sparpreis- und Supersparpreistickets

Diese günstigen Tickets, von denen sowieso immer viel zu wenige verfügbar sind, gibt nun nicht mehr am Automaten zu kaufen. Denn seit ein paar Monaten müssen Reisende beim Kauf eines Sparpreis- oder Supersparpreis-Tickets zwingend persönliche Daten angeben, nämlich eine Mailadresse. Oder eine Mobilfunknummer. Und das geht nicht am Automaten, nur im Reisezentrum. Oder online natürlich. Schwups, und schon haben wir eine Personalisierung des Tickets. Jeder Kauf, jeder Klick wird zum Stein im Mosaik. Und das ist ein Problem für Menschen, die kein Smartphone besitzen. Auch hier liefert die DB wieder ein vorgeschobenes Argument: Die Telefonnummer oder ersatzweise die Mailadresse würde gebraucht, um mit den Reisenden Kontakt aufzunehmen, falls sich ihr Zug verspäten oder früher fahren würde. Da lachen ja die Hühner. Inzwischen hat auch Alexander Roßnagel, der Hessische Landesdatenschutzbeauftragte, der für den DB Konzern zuständig ist, klargestellt: Der Zwang, Handynummer oder E-Mail-Adresse anzugeben, ist datenschutzrechtlich unzulässig1.

Deutschlandticket

Auch die Politik und Verbände legen Mosaiksteinchen um Mosaiksteinchen dazu: Deutschlandticket? Semestertickets? Beides soll es bei der Bahn ausschließlich in der Digitalzwang-Edition geben. Die Grundlage dazu steht im Regionalisierungsgesetz2: „[Das Deutschlandticket] soll in digitaler Form erhältlich sein.“ Mein Kleinhirn sagt mir: da steht „soll“, nicht „muss“.3 Von Ausschließlichkeit ist keine Rede. Aber die Bahn besteht darauf.

So haben wir derzeit auf der einen Seite Menschen, die kein Smartphone besitzen – oder die zwar eins haben, aber denen das Bedienen von Technik zu komplex ist, die sich unter Druck gesetzt fühlen und ihre Bahncard kündigen, weil sie denken, dass sie diese gar nicht mehr nutzen können. Auf der diametral entgegengesetzten Seite sind die technisch versierten Menschen, die ein freies Betriebssystem auf ihrem Gerät haben und deswegen nicht an die App-Stores von Google oder Apple rankommen. Denn ausschließlich dort bekommt man (anders als bei vielen Fahrplan-Apps) die zur Nutzung zwingend notwendige App „DB Navigator“. Diese Menschen haben viel Ahnung von Datenverarbeitung – genau deshalb achten sie auf ihre informationelle Selbstbestimmung und wollen nicht allenthalben eine Datenschleimspur hinterlassen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat in seiner repräsentativen Umfrage4 mit dem Titel „Wahlfreiheit in der Mobilität“ untersucht, wie die Bevölkerung zu digitalen Tickets und ausschließlich digitalen Tickets steht. Ein Ergebnis der Studie: obwohl ein Großteil der Bahnfahrer.innen ihre Tickets online kauft, finden trotzdem 81 % der Befragten, dass Verkehrsunternehmen wie die Bahn in der Verantwortung stehen, auch Menschen ohne Smartphone oder Internetzugang den Fahrkartenkauf zu ermöglichen.

Fahrkartenautomaten

Die Frage, wer, wie, wann und wohin fährt, ist für die Bahn offenbar von großem Interesse. Fahrkartenautomaten werden systematisch verknappt oder stehen – da, wo die Deutsche Bahn noch Regionalstrecken bedienen darf – unrepariert an trostlosen Haltepunkten. Und Bargeld wird meist nicht angenommen – auch hier ist er, der Zwang zum Digitalen; zum unbaren Zahlen mit Geldkarte.5

Und, fast vergessen: Anders als früher werden in Zügen der Deutschen Bahn keine Fahrkarten mehr im Zug verkauft.

„DB Navigator“

Das nächste Überwachungsmosaik-Steinchen: die App „DB Navigator“. Eine App, die nicht nur Tickets verkauft und Fahrpläne anzeigt, sondern auch still und heimlich die digitalen Fäden spinnt, mit denen wir kontrolliert werden. Tracker.

Die Deutsche Bahn drängt darauf, dass alle die App „DB Navigator“ nutzen. Die schnüffelt ihre Nutzer.innen allerdings aus und gibt eine Menge Daten über sie weiter. Der Trick: Die Bahn deklariert alle Tracker, die sie unbedingt haben will, einfach als „erforderlich“. Bei der neuen Version der App sind es insgesamt sechs Unternehmen – unter anderem Adobe und Google –, deren Mitwirkung laut Bahn angeblich zwingend erforderlich ist und an die deshalb Daten abfließen. Ohne dass die Bahn Ihren Kund.innen eine Möglichkeit einräumt, das abzuschalten. Technisch sind diese Tracker aber kein bisschen „notwendig“.

Vor zwei Jahren – 2022 – hat Digitalcourage die Deutsche Bahn wegen dieser nicht abwählbaren Tracker verklagt. Sie haben sicher davon gehört. Zusammen mit dem Blogger und Sicherheitsexperten Mike Kuketz und mit Unterstützung des Rechtsanwalts Peter Hense warten wir seit nunmehr zwei Jahren auf einen Termin für eine Verhandlung.

Wir haben jetzt einige Mosaiksteinchen zusammengelegt. Da sind noch viele Lücken, die den Rahmen dieser Laudatio sprengen würden. Aber wir können im Mosaik bereits ein Muster erkennen.

Diejenigen, deren Zug tatsächlich fährt, werden von freundlichen Zugbegleiter.innen kontrolliert. Diese haben ein Smartphone, mit dem sie die Ticketkontrolle durchführen. Installiert ist darauf eine App, die eine Kontrollhistorie anlegt – wodurch der Reiseweg jedes Fahrgastes nachverfolgbar wird.

Der Name dieser App ist übrigens: Mosaik.

Wir würden diesem Mosaik gerne ein eigenes Muster geben: Umweltfreundlich, datenschutzfreundlich. Eine Bahn, die die Bedürfnisse und das Wohlgefühl der Reisenden ernst nimmt. Zu diesem „datenschutzfreundlich“ und „Wohlgefühl“ gehört auch, anonym und unüberwacht mit der Bahn reisen zu können.

Warum die Möglichkeit, sich unerkannt in unserem Land frei bewegen zu können, wichtig ist? Weil wir als Bürgerinnen und Bürger an allererster Stelle der Souverän dieses Staates sind und nicht Mobilitätsverschiebemasse, Verdachtsfall oder Marketingobjekt. Deshalb wollen wir uns frei bewegen können. Auch mit und gerade mit der Bahn.

Herzlichen Glückwunsch, Deutsche Bahn AG, zum BigBrotherAward 2024!

Jahr
Kategorie

Laudator.in

padeluun am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
padeluun, Digitalcourage
Quellen:

1 tagesschau.de, 02.10.2024: Ausschluss von Kunden Datenschützer kritisieren Regeln für Sparpreistickets.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/bahn-sparpreis-ticket-datenschutz-100.html

2 https://www.gesetze-im-internet.de/regg/RegG.pdf

3 In einem Gesetzestext bedeutet das Wort „soll“ in der Regel "muss, wenn es geht". Es drückt eine Verpflichtung aus, aber keine Ausschließlichkeit. Es unterscheidet sich vom Wort „muss“, das eine absolute Verpflichtung darstellt. Das bedeutet, dass der Verpflichtete der Soll-Vorschrift nachkommen muss, es sei denn, es liegen triftige Gründe vor, die eine Ausnahme rechtfertigen

4 https://www.vzbv.de/sites/default/files/2024-09/Charts_Wahlfreiheit-Mobilit%C3%A4t.pdf

5 https://web.archive.org/web/20241008165411/https://www.deutschernahverkehrstag.de/umfrage-zum-vertrieb-der-zukunft/

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

BigBrother Awards International (Logo)

BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.