Temu & Shein

Der BigBrotherAward 2024 in der Kategorie „Verbraucherschutz“ geht an die Handelsplattformen Temu und Shein und deren Niederlassungen in Irland. Mit diesem BigBrotherAward 2024 würdigen wir, dass beide Anbieter die Rechte von Nutzern und Kunden durch ihre Datenschutzgrundsätze und Allgemeinen Geschäftsbedingungen maximal begrenzen oder ganz ausschließen.
Laudator.in:
Prof. Dr. Peter Wedde am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Prof. Dr. Peter Wedde, Frankfurt University of Applied Science

Der BigBrotherAward 2024 in der Kategorie „Verbraucherschutz“ geht an

die Handelsplattformen Temu und Shein

und deren Niederlassungen in Irland. Mit diesem BigBrotherAward würdigen wir, dass beide Anbieter die Rechte von Nutzern und Kunden durch ihre Datenschutzrichtlinien und Allgemeinen Geschäftsbedingungen maximal begrenzen oder ganz ausschließen.

Billige Angebote

Auf den Plattformen Temu und Shein – die in Irland registriert sind und chinesische Eigentümer haben – werden schwerpunktmäßig Waren chinesischer Hersteller angeboten. Von „A“ wie Anzug bis „Z“ wie Zahnbürste finden sich dort Gegenstände aus allen Bereichen. Die Angebote sind günstig, um nicht zu sagen: „billig“. Kabellose Over-Ear-Kopfhörer werden beispielsweise bei Shein für nur 10,63 € angeboten, eine elektrische Zahnbürste mit vier Bürstenaufsätzen (deren Verpackung der eines weitverbreiteten Markenproduktes ähnelt) gibt es statt für 12,76 € für nur 7,65 €.

Im Rahmen einer „Jubiläums-Party“ gab es jüngst fünf Herrenunterhosen für 8,73 €. Diesem Superangebot stellte Temu „die letzten vier Sexy-Leopard-Slips“ für Männer für nur 14,85 € gegenüber. Das Motto von Temu ist übrigens: „Shop like a billionaire“.

Über die chinesischen Hersteller der Waren etwas zu erfahren, ist nicht einfach. Shein verspricht zwar in den AGB: „Der Name und die Kontaktdaten jedes Verkäufers werden in jeder Produktspezifikation auf der Website angezeigt, bevor der Kunde seine Bestellung bestätigt.“ Tatsächlich werden dort – ebenso wie bei Temu – zumeist nur Firmennamen genannt. Versuche, über diese im Internet etwas zu erfahren, enden vielfach auf „unfertigen“, „ungepflegten“ oder „toten“ Seiten.

Dark Patterns

Beide Plattformen verleiten Besucher durch zahlreiche „Dark Patterns“ zum Einkaufen. Dieser Begriff steht für Design und Gestaltung von Webseiten, durch die Handlungen von Nutzern manipuliert werden. Auf den Seiten von Shein wird mit Rabatt-Angeboten, zeitlich befristeten Sonderaktionien oder dem Hinweis „nur noch wenige Exemplare vorhanden“ ein permanenter Kaufdruck erzeugt.

Ebenso bei Temu, wo wechselnden Anzeigen unter vielen Produkten wie etwa „nur noch 5 verfügbar!“ oder „fast ausverkauft!“ Druck machen.

Wen diese Art der Manipulation nervt, der kann sich übrigens unter Hinweis auf den Digital Services Act bei der Bundesnetzagentur beschweren.

Ungewollt Importeur werden

Mit einer Bestellung in China werden Käuferinnen und Käufer zu „Importeuren“. Was das bedeutet, erklärt Shein so: „Indem Sie Ihren Kauf bestätigen, erklären Sie sich damit einverstanden, alle anfallenden Gebühren, Steuern, Versandkosten und andere mit Ihrem Kauf verbundenen Beträge zu bezahlen. Darüber hinaus erkennen Sie, soweit zutreffend, Ihre Verantwortung für Umsatzsteuer und Zollgebühren an.“ Wenn der Gesamtwert eines Imports den steuerlichen Sach-Freibetrag von 150,00 € übersteigt, können die deutschen Zollbehörden Abgaben bei den Bestellern nachfordern. Die Zusicherung von Temu oder Shein, alle auf der Webseite genannten Preise seien Bruttobeträge, ändert daran nichts. Wer als Importeuer in China Textilien für 300 € bestellt und sie in Teillieferungen zu je 100 € zugeschickt bekommt, dem kann es passieren, dass der Zoll dafür rund 100 € an Gebühren nachfordert.

Einzelne Angebote bei Temu oder Shein haben große Ähnlichkeit mit Markenprodukten. Wer sie bestellt, dem droht statt der Lieferung eine Abmahnung vom Hersteller des Originalprodukts.1 Der Kauf eines gefälschten Artikels für private Zwecke kann nämliche eine Rechtsverletzung sein.2 Entdeckt der Zoll ein „Plagiat“ oder eine „Produktfälschung“, darf er die Hersteller der Originale über den „Importeur“ informieren. Aus „ganz billig“ kann so schnell „ziemlich teuer“ werden.

Datenschutz

Wer wissen will, was bei Temu und Shein mit seinen Daten passieren kann, muss Dutzende eng bedruckter Seiten mit komplizierten Formulierungen lesen. Das verstößt gegen Transparenzvorgaben in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Diese enthält u.a. die Pflicht, Betroffene über die Verarbeitung ihrer Daten in transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form sowie in einer klaren und einfachen Sprache zu informieren.

Die Datenschutzregeln und die AGB von Temu und Shein sind von ähnlich schlechter Qualität wie die angebotenen Produkte. In den AGB von Shein heißt es: „Vertragssprache ist Deutschland“ oder „Für alle Streitigkeiten (…) sind ausschließlich die Gerichte von Deutsche zuständig“.

Bei Temu findet sich die Feststellung, dass nur solche personenbezogenen Daten verarbeitet werden, die „wir über unsere digitalen Eigenschaften erfassen.“

Digitale Erfassungseigenschaften“ – was mag das sein? Ist das nur die digitale Halluzination einer Billig-Übersetzungssoftware, oder der Fehler eines zu Dumpingpreisen arbeitenden Clickworkers?

Änderungen der Datenschutzerklärungen

Temu und Shein behalten sich außerdem vor, ihre Datenschutzregeln jederzeit einseitig zu ändern. Temu sagt hierzu deutlich: „Wir empfehlen Ihnen, die Datenschutzrichtlinie jedes Mal zu lesen, wenn Sie unseren Dienst besuchen, um über unsere Datenschutzpraktiken auf dem Laufenden zu bleiben“.

Da müssen die Kundinnen und Kunden schon aufmerksam sein, um zu wissen, was diese Anbieter dürfen und was nicht. Bei der Erstellung dieser Laudatio musste ich feststellen, dass bei Shein innerhalb von nur 48 Stunden ein ganzer Absatz in den Datenschutzregeln neu war.

Einwilligungen

Schlimmer noch ist der Umgang mit Einwilligungserklärungen: Beim ersten Aufruf beider Internetportale öffnen sich zwar jeweils „Einwilligungsfenster“. Auf der deutschen Startseite von Shein erschien der Text zum Zeitpunkt unserer Recherche vollständig in italienischer Sprache, zusammen mit den Antwortmöglichkeiten „Gestione dei cookie“, „Alle ablehnen“ oder „Annehmen“.

Wer „Alle ablehnen“ klickt und glaubt, damit die umfassende Datenverarbeitung auszuschließen, der irrt: Die AGB und Datenschutzrichtlinien beider Firmen lassen auch ohne Einwilligung eine fast grenzenlose Verarbeitung von Kundendaten zu. Shein sagt das in seinen AGB ganz offen: „Die Tatsache, dass Sie diese Website nutzen, bedeutet, dass Sie diese Nutzungsbedingungen ohne Vorbehalt akzeptieren, es sei denn, dies ist gesetzlich verboten.

Die Anerkennung der Datenschutzrichtlinie ist zudem auch in den AGB von Shein verankert. Dort heißt es: „Der Kunde bestätigt, dass er die Datenschutzbestimmungen des Marktplatzes gelesen und verstanden hat, in denen erläutert wird, wie die personenbezogenen Daten des Kunden bei der Nutzung der Dienste auf der Website erfasst und verarbeitet werden.“

Wer dann immer noch nicht verstanden hat, was Shein darf, für den wird es noch einmal in Großbuchstaben „herausgeschrien“: „DIE NUTZUNG DER WEBSITE SETZT DIE AUSDRÜCKLICHE ANNAHME DIESER ALLGEMEINEN NUTZUNGSBEDINGUNGEN VORAUS. WENN SIE DIESE NICHT AKZEPTIEREN, MÜSSEN SIE DIE NUTZUNG DER SEITE EINSTELLEN. UNGÜLTIG, WENN VERBOTEN.“

Bei Temu findet sich eine entsprechende Erlaubnisregelung ebenfalls in den AGB.

Damit könnten sich beide Plattformen ihre „Einwilligungsfenster“ eigentlich auch schenken. Gegenüber Nutzern und Kunden, die der Verarbeitung ihrer Daten ausdrücklich widersprochen haben, ist diese Situation allerdings eine grobe Täuschung. Und ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorgaben.

Do not track

Übereinstimmende Positionen der beiden Anbieter gibt es beim Thema „Do not track“. Bei Temu heißt es hierzu kurz und knapp: „Wir reagieren derzeit nicht auf ‚Do Not Track‘ oder ähnliche Signale.“

Sheins Datenschutzerklärung ist da etwas ausführlicher: „Einige Internetbrowser wie Internet Explorer, Firefox und Safari bieten die Möglichkeit, ‚Do Not Track‘- oder ‚DNT‘-Signale zu übertragen. Da keine einheitlichen Standards für ‚DNT‘-Signale eingeführt wurden, verarbeitet oder reagiert unsere Website derzeit nicht auf ‚DNT‘-Signale.“

Wer sich so eindeutig positioniert, der zeigt, dass ihm Kundendatenschutz absolut egal ist.

Zugriffe staatlicher Stellen in China

In China ermöglichen Datenschutzvorschriften wie das „Personal Information Protection Law – PIPL“ vom 20. August 2021 staatlichen Stellen den umfassenden Zugriff auf personenbezogene Daten, über die die dort ansässigen Unternehmen verfügen – das schließt auch Daten aus Europa ein.

In der europäischen DSGVO findet sich allerdings kein Erlaubnistatbestand, der diese Verarbeitung von Kundendaten aus Deutschland in China rechtfertigt. Im Gegenteil: Einer derartigen Verarbeitung stehen überwiegende schutzwürdige Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten europäischer Nutzerinnen und Nutzer gegenüber.

Deshalb müssten Temu und Shein entsprechenden Übermittlungen eine klare Absage erteilen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: In der Datenschutzrichtlinie von Temu wird beispielsweise unter der Überschrift „Compliance und rechtliche Verpflichtung“ ausdrücklich darauf hingewiesen, dass personenbezogene Daten auch verwendet werden können, „um die Einhaltung gesetzlicher und vertraglicher Anforderungen (…) sicherzustellen.“

Bei Shein heißt es: „Wir haben das Recht, Ihre personenbezogenen Daten zur Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung offenzulegen (…).“

Wer derartige Formulierungen verwendet, öffnet einer Verarbeitung von Kundendaten in China, die gegen europäisches Recht verstößt, Tür und Tor. Das schließt die Verwendung von Daten durch staatliche Sicherheitsbehörden ein.

Wer in Deutschland in der Öffentlichkeit steht und in China in politische Ungnade fällt, der sollte angesichts der Erkenntnismöglichketen chinesischer Geheimdienste beispielsweise auf den Einkauf von Waren wie Sexspielzeug verzichten, das Shein und Temu ebenfalls günstig anbieten.

Fazit:

Die Liste von Regelungen in den Datenschutzschutzrichtlinien und AGB von Shein oder Temu, die im Widerspruch zur DSGVO stehen oder die unzulässig in Rechte von Kunden eingreifen, ließe sich fortsetzen. Aber das Gesagte reicht schon aus, um zu verdeutlichen, warum wir den BBA 2024 in der Kategorie „Verbraucherschutz“ an Temu und Shein verleihen.

In diesem Sinne, herzlichen Glückwunsch zum BigBrotherAward 2024!

Jahr
Kategorie

Laudator.in

Prof. Dr. Peter Wedde am Redner.innenpult der BigBrotherAwards 2021.
Prof. Dr. Peter Wedde, Frankfurt University of Applied Science

Über die BigBrotherAwards

Spannend, unterhaltsam und gut verständlich wird dieser Datenschutz-Negativpreis an Firmen, Organisationen und Politiker.innen verliehen. Die BigBrotherAwards prämieren Datensünder in Wirtschaft und Politik und wurden deshalb von Le Monde „Oscars für Datenkraken“ genannt.

Ausgerichtet von (unter anderem):

BigBrother Awards International (Logo)

BigBrotherAwards International

Die BigBrotherAwards sind ein internationales Projekt: In bisher 19 Ländern wurden fragwürdige Praktiken mit diesen Preisen ausgezeichnet.